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gesteckt, als eueres, und so hab’ ich es denn auch leichter erreicht. Ich habe um meine Frau gedient, wie Jacob in der Bibel. Ich war nämlich sieben Jahre Concipient in der Kanzlei meines späteren Schwiegervaters und endlich sein Theilhaber. Er starb, die Kanzlei gehört mir, sie geht leidlich. Meiner braven Frau kann ich Frühjahrskleider machen lassen, meine Kinder kann ich lernen lassen. Wir Alle sind gesund. Ich sage mir oft, daß ich alle Ursache habe, Gott zu danken, weil meine Wünsche in Erfüllung gegangen sind und weil ich dazu auch ein genügsames Herz habe.“

Es trat eine kleine Pause ein. Der Satz klang nicht wie abgeschlossen. Als der Advokat noch zögerte, fragte einer der Freunde:

„Etwas scheint Dich aber noch zu drücken?“

„Ja, etwas. Es kommt zuweilen sonderbar über mich, selten bei Tage, weil ich da allerlei Beschäftigung habe. Bei Nacht überfällt es mich zumeist. Ich wache auf, mitten in der stillen Nacht. Ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Eine Angst? Ein Gefühl der Leere. Es ist möglicherweise Todesfurcht, wenn es nicht die Furcht vor dem Leben ist. Ich weiß, meine Frau, meine Kinder sind in der Nähe, ich höre sie athmen, schnarchen. Und doch habe ich das Gefühl einer bitterlichen Einsamkeit, und ich verstehe nicht, wozu ich da bin. Das wird so noch zwanzig oder dreißig Jahre dauern, ich werde noch so und so viele Prozesse gewinnen oder verlieren, meinen Zins und die Fleischerrechnungen bezahlen, meine Expensnoten einstreichen. Ja, aber wozu? Kann mir Einer sagen, wozu?“

„Darauf gibt es freilich keine Antwort,“ sagte der reiche Mann mit leiser Stimme.

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/152&oldid=- (Version vom 1.8.2018)