Seite:Herzl Philosophische Erzaehlungen.djvu/148

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Der Millionär rief: „Für uns machst Du offenbar eine Ausnahme vom Grundgesetz, Du bist ja wohl hier der Souverän!“ Und er blinzelte der Excellenz vergnügt zu, wie wenn er sagen wollte: Total übergeschnappt!

Wilhelm nickte gelassen. Dann ließ er durch den Burschen das Mahl auftragen. Die Stimmung, die anfangs überaus frostig gewesen, wurde allmählich freundlicher bewegt. Romeo erklärte das Bier für genießbar; der Millionär fand es eigentlich charmant, daß sie die Sonntagskost armer Leute bekamen. Das war doch einmal was Anderes. Bald schwärmten Erinnerungen herauf, man wurde in den Gesprächen jünger. Selbst Se. Excellenz verlor die anfängliche Steifheit, und als die Schüsseln abgetragen wurden, hatten sich die Genossen beinahe schon in den Ton der früheren Tage heimgefunden. Wilhelm verabschiedete den Diener mit einem Winke und begann:

„Wir haben also Wort gehalten, einander und uns selbst. Dieses ist das Gastmahl des Erfolges. Nun gilt es aber, das Gelöbniß zu vollenden. Wir wollen Jeder über die Güter des Lebens berichten, die wir uns erwarben. Nur mache ich euch aufmerksam, daß unsere Geständnisse keinen erheblichen Werth hätten, wenn sie nicht aufrichtig wären. Als unser guter Romeo damals die philosophische Wette vorbrachte, ich glaube mit dem volksthümlichen Worte: wer wohl der größte Heuochse sei, da war das innere Ergebniß des Erfolges gemeint. Was wir nach außen vorstellen, das hätten wir wohl auch sonst von Jedem erfahren, obwohl uns das Leben weit auseinander getrieben hat. Und ich vermuthe, wir werden auch nach der Aussprache wieder unsere getrennten Wege fortgehen. Gerade darum sollen und dürfen wir in dieser Zusammenkunft eine philosophische Wahrheitsliebe bekunden. Uebrigens werden wir

Empfohlene Zitierweise:
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/148&oldid=- (Version vom 1.8.2018)