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wer den Erfolg gehabt hat, den er suchte. Wir sagen also Reichthum, Ehre, häusliches Glück und – oho, der Wilhelm hat seine Forderung an das Leben noch nicht formulirt.“

„Ja, ihr seid eben schon mit euch im Klaren,“ erwiderte Wilhelm; „ich aber nicht. Schopenhauer’s drei Rubriken gehen mir durch den Sinn, wie ich euch da reden höre: was Einer ist, was Einer hat, was Einer vorstellt. Der Pessimist hat nur diese drei Grundbestimmungen für die Güter des Lebens. Gibt es nicht noch andere? Ich könnte es euch jetzt nicht sagen, denn ich bin mit mir nicht so fertig, wie ihr. Es schwebt mir unaussprechlich vor. Am nächsten komme ich vielleicht meinem Gedanken, wenn ich sage: was Einen ausfüllt.“

„Damit sagst Du erst recht nichts Besonderes,“ erklärte der Hofrath.

„Lass’ ihn,“ sprach der Millionär; „er ist ein guter Mensch in seinem dunklen Drange.“

Aber das Stelldichein wurde fest verabredet. In diesem selben Stübchen des Wirthshauses nächst der alten Universität wollten sie einander in zwanzig Jahren wiedersehen, wenn sie den Erfolg hätten, Jeder nach seiner Art, und sie versprachen, aufrichtig wie heute von den erworbenen Gütern ihres Lebens zu berichten…

Und wie es geht, die zwanzig Jahre vergingen. Erst schlichen die Jahre jedem Einzelnen in betrüblicher Länge dahin, Tag um Tag mußte mühsam unter Kämpfen, Sorgen, Entbehrungen, Aufregungen umgebracht werden. Dann beflügelte sich allmählich der Schritt der Zeit. Denn je älter man wird, um so hastiger entrinnen die Jahre. Die Freunde sahen einander anfangs oft, später immer seltener. Doch das Stelldichein des Erfolges hatten sie sich wiederholt in Scherz und Ernst eingeschärft, so daß sie es nicht vergaßen.

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/144&oldid=- (Version vom 1.8.2018)