Vier junge Leute, frisch von der Universität, saßen an einem Abend vor zwanzig Jahren beisammen und wollten Abschied nehmen. Sie wußten, daß ihre Wege sich nun trennen würden, nachdem sie ihr Doctorat erlangt hatten. Sie waren in der Studienzeit miteinander öfters lustig gewesen, und beim Scheiden überfiel sie ein Ernst.
„Jetzt ist das Leben da,“ sagte der Eine.
„Ja wohl,“ seufzte der Zweite; „wie wird es uns werden?“
„Was, ist die Frage! Was wird aus uns werden?“ meinte der Dritte.
Aber der Vierte erklärte: „Ich glaube, das hängt zum größten Theile von uns ab. Wenn diese lange Vorbildung, in der unsere Jugend verging, überhaupt einen Sinn hat, kann es nur der sein, daß wir als fertige Menschen in das Leben hinausgehen. Nicht mehr der Zufall wirft uns auf diesen oder jenen Weg. Wir selber steuern unser Schifflein. Ich weiß, was ich erreichen will. Ich weiß freilich nicht, ob ich es erreiche. Aber doch bin ich schon dem vulgus überlegen, weil ich das Bewußtsein meiner selbst habe.“
„Und was willst Du aus diesem Bewußtsein herausnehmen?“ fragte man ihn.
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/142&oldid=- (Version vom 1.8.2018)