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In jener erquicklichen „Residenz“, die Sie aus so vielen deutschen Lustspielen kennen, lebte als schlichter Biedermann und Redakteur der „Volksstimme“ Herr Johannes Bunge. Johannes Bunge, genannt „Doktor“, war das Ideal eines Redakteurs für Alles. Er genügte in erstaunlicher Art den großen Anforderungen, die man bei einem kleineren Blatte an die Mitarbeiter zu stellen pflegt. Er war schön, jung, unendlich blond, wußte mit Schere und Oblaten meisterhaft umzugehen. Er war sprachenkundig wie ein Kavallerist und von der ritterlichen Schneidigkeit eines Hauslehrers. Der Orthographie war er in einer Weise mächtig, daß es dem Korrektor der Zeitung zuweilen Freudenthränen entlockte. Johannes Bunge kannte ferner das Geburtsjahr aller europäischen Fürsten, beherrschte die schwierigsten Partien des hundertjährigen Kalenders und verfügte über ein so wahrhaft encyklopädisches Wissen, wie es außer ihm vielleicht bloß der jüngste Brockhaus (letzte Auflage) besitzt. Zu alledem war er auch noch das Muster eines wohlinformirten Zeitungsmannes. Eine Bunge’sche Nachricht trug den Stempel der Verläßlichkeit an der Stirne. Wenn Bunge mit der ihm eigenthümlichen stilistischen Gewandtheit schrieb: „Wie wir aus bester Quelle erfahren…“, so konnte man ruhig darauf schwören, daß die Mittheilung echt, wahr, unbestreitbar sei und niemals „richtiggestellt“ werden könne. Dadurch war er eben seinem Konkurrenten von der „Morgenwacht“ so weit weit überlegen.

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)