Mann … Ich scherzte, wie gesagt, mit Frau und Tochter – ihn konnte ich nicht anschauen. Wenn ich hinsah, verdunkelte sich mir der Blick.
Dann sagte ich ihnen gelassen gute Nacht! Ich küßte, wie gewöhnlich, Frau und Tochter auf die Stirne. Nur bei meinem Sohne war ich für einen Augenblick schwach. Ich gab ihm einen langen, langen Kuß. Er sah mich forschend an. Ich weiß jetzt, daß dieser Kuß mein Verräther war … Ich ging auf mein Zimmer. Ich wollte nur noch warten, bis sie alle schliefen. Da lag schon der Revolver bereit … Meine Thür wurde plötzlich aufgerissen – er war es: Hans! Mit einem Blick übersah er die Sachlage. Ich wollte mich auf den Revolver stürzen – er war schneller. Er stieß mich zurück, daß ich taumelte. Und da stand er schon, durch den Tisch gedeckt, und hatte den Revolver in der Hand.
„Gieb her!“ schrie ich.
„Nein! Du willst Dich tödten!“
„Gieb her! … Ja, wenn Du es wissen willst. Ich muß. Ich kann nicht anders.“ Und wollte mich nähern.
„Nicht einen Schritt, Vater!“ Dabei setzte er sich die Mündung an die Schläfe. „Wenn Du einen Schritt machst, drücke ich los.“
Und in dieser gräßlichen Situation begannen wir zu unterhandeln. Er verlangte mein Ehrenwort, daß ich nicht Hand an mich legen werde. Sonst tödte er sich augenblicklich. Er wollte den Vater nicht verlieren … Nun, meine Herren Geschwornen, hätte ich meinen Sohn, einen solchen Sohn in den Tod schicken sollen? Wenn ich ihm auch gleich nachgefolgt wäre … Ich gab ihm mein Ehrenwort, zu leben. Ich lebe. Ich sitze jetzt da. Sprechen Sie mich schuldig!
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)