Verzeihen Sie, das gehört eigentlich nicht zur Sache. Ich will nur sagen, daß ich der Spielkamerad und der Mitschüler meines Sohnes gewesen. Als er zur Reife kam, wurde ich sein Freund. Er hat nie ein Geheimniß vor mir gehabt, ich hatte keines vor ihm – mit Ausnahme der letzten Zeit. Von meinen Betrügereien hatte er keine Ahnung, er wußte lediglich, daß ich Sorgen und Kämpfe habe … Wie er an mir hing und hängt! Sehen Sie, dort sitzt er seit dem Beginn der Verhandlung, regungslos. Höchstens, daß er mir manchmal zulächelt. Ich soll den Freund an meiner Seite wissen. Obwohl sein Herz stärker blutet, als meines …
Ja, wie ich also dazu kam, ein Verbrechen aus Gewinnsucht zu begehen? Vor Allem: die Thatsachen, die Ihnen der Herr Staatsanwalt vortrug, sind sämmtlich richtig. Ich war seit länger als drei Jahren passiv und wußte es. Ich habe betrogen und große Summen veruntreut. Meine Herren Geschwornen! In Fällen wie der meinige handelt es sich bloß um die erste Lüge. Das Andere folgt von selbst, man hat nicht mehr die Willensfreiheit. Man ist im Sumpf, und je heftiger man sich anstrengt, hinauszugelangen, desto tiefer sinkt man ein … Wie bin ich nun zum ersten Fehler getrieben worden? Das Kohlenbergwerk, von dem Ihnen alles Nöthige bekannt ist, verschlang bedeutende Kapitalien und gab nichts wieder. Mein Kredit war überdies angespannt. Doch war meine Lage durchaus nicht bedenklich. Da begab es sich, daß ich für eine ganz kurze Zeit – zwei Tage – fünfzigtausend Gulden brauchte. In zwei Tagen hatte ich fällige Wechselforderungen in der gleichen Höhe. Um nun nicht erst borgen zu müssen, entnahm ich das Geld einem der bei mir liegenden Depots. Das war nicht korrekt, geschah
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)