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Kennen Sie meinen Sohn? Dort sitzt er, ein lieber Junge – er hat sich natürlich der Aussage entschlagen. Und was hätte er auch aussagen können? Er wußte ja von nichts. Obwohl er, nur er daran schuld ist, daß ich jetzt neben dem Herrn Justizsoldaten vor Ihnen sitze.

O, Sie mißverstehen mich, meine Herren Geschwornen. Er ist tadellos, wohlgerathen und brav, brav! Wenn Einer von Ihnen auch dem innerlichen Census entspricht und ein Gerechter von mildem Sinn ist, ein barmherziger Gerechter, so wünsch’ ich ihm einen solchen Sohn.

Er hat mir Freude gemacht von seinem ersten Tage an, und nur ein einziges Mal weh gethan. Das erzähle ich Ihnen gleich. Es ist der Grund, warum ich hier sitze.

Als er mir geboren wurde, da war die Welt plötzlich so voll … Sie wissen, ich bin aus gutem Hause, habe eine sorgfältige Erziehung genossen und meine Jugend flott verbracht. In die Ehe zog ich ebenfalls tändelnd ein. Gesicherte Verhältnisse, die alte Firma, die ich übernahm – wo soll da der Ernst herkommen? Das Hauswesen wurde auf großem Fuß eingerichtet. Das ist der Aufwand, den mir der Staatsanwalt vorwirft. Aber dieser Aufwand war lange Zeit berechtigt, und als er es nicht mehr war, durfte ich ihn nicht aufgeben, ohne mich selber aufzugeben. Der Rock war nicht zu weit, nur der Leib magerte unversehens ab.

Und doch kam mir der Ernst – von meinem Sohn. Noch als er in der Wiege lag, heilte er mich von allerlei spöttischen und leichtfertigen Anschauungen, die ich vor ihm gehabt. Die Kinder sind unsere größten Lehrmeister. Er lehrte mich eine sinnvolle Liebe zum Leben. Denn mein Leben war er, meine unbegrenzbare Fortsetzung, die Bürgschaft, daß ich immer unter der Sonne wandeln würde,

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/121&oldid=- (Version vom 1.8.2018)