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nur seinem Sohne zugelächelt, um ihm tröstend anzudeuten, daß dies Alles nicht schmerze.

Nach der Pause. Die Gasluster strahlen jetzt. Ah! Alles erscheint wieder, erfrischt wie nach dem Zwischenakt im Theater. Auch der Angeklagte fühlt sich wohler. Der Kopfschmerz, der ihn vorhin bedrückte, wie eine bleierne Haube, ist nun ein wenig gelüftet.

„Herr Vertheidiger, Sie haben das Wort!“

Bevor der aber der präsidialen Einladung entspricht, wartet er kunstvoll ein Weilchen. Gänzliche Stille muß eingetreten sein, damit keines seiner kostbaren Worte unter den Tisch falle. Namentlich für den Anfang hat er einige delikate Spitzen, reizende Sächelchen für Feinschmecker – die gröberen und darum der Wirkung sicheren werden weise für den Schluß gespart: allerhand Sentimentalitäten, gerichtshöfische Lyrik, der Griff nach der Thränendrüse. Eine Reklame, wie dieser Prozeß, kommt nicht bald wieder.

„Meine Herren Geschworenen!“

Der Angeklagte lauscht anfangs den glatten, sorgsam gesteigerten Sätzen. Aber sämmtliche Thatsachen hat er in den letzten zwei Tagen so oft erwähnen gehört, daß sie ihm allmählich gleichgültig wurden und fremd, in demselben Maße, wie sie den Herrn Geschwornen nach und nach vertraut sind. Auch erkennt er wahrhaftig sein Schicksal nicht in dieser doch so meisterhaften Darstellung. Es fehlen entscheidende Züge, die freilich auch in den Prozeßakten nicht vorkamen. Und eine leise Betäubung überwältigt ihn, eine angenehme Müdigkeit. Es ist ihm zu Muthe wie dem Verirrten im tiefen Schnee, wenn der kritische Augenblick der Schlafsucht eintritt. Er träumelt verloren vor sich hin. So würde er sprechen, wenn nicht die Scham ihn abhielt.

Meine Herren Geschwornen!

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/120&oldid=- (Version vom 1.8.2018)