den Bäumen, neben der Militärmusik, die Sesselreihen … Und da – da saß auch sie wieder! Sie, wirklich sie! Madeleine de Commercy!
Sie trug diesmal ein lichtes Kleid. Ich erkannte sie sofort, schon aus der Ferne. Wie hoch mein Herz nach so jahrelanger Sehnsucht schlug, wie’s mir in den Schläfen pochte, wie ich nach Athem rang … Aber längst war ich mit meinem Feldzugsplane im Reinen. Behutsam schlich ich hinter sie und stellte meinen Sessel so, daß ich Alles sehen konnte und dabei unauffällig blieb … Neben ihr befand sich der alte Herr – ihr Gatte oder Vater? Er sah vortrefflich aus und las Zeitungen – wahrscheinlich die gleichen Artikel wie damals in den legitimistischen Blättern vom Tage. Alles war so unberührt und unverändert, als wäre die Zeit stille gestanden, als schliefe Dornröschen noch. Nur sie war ein wenig voller geworden, frauenhafter, und runder, träger die Bewegungen, wie nach einem vorzüglichen Schlummer, der voll von rosigen Träumen gewesen … Sie saß ganz still und ernst da. Nur ihre Blicke wanderten immer in derselben Richtung, als erwarte sie Jemanden, Mich? Glaubte, hoffte auch sie, daß der Vorübergehende von damals erscheinen würde? Ich bebte vor Seligkeit.
O, ich erzähle Ihnen meine ganze Thorheit, meine ganze Enttäuschung. Denn bald kam er, der Erwartete: ein Geck der Provinz. Da leuchteten ihre schönen Augen, und um den küssigen Mund tändelte jenes unvergeßbare Lächeln, das verheißungsvolle, süße, liebeswarme …
Ich will Ihnen kurz das Ende sagen. Nachdem ich mich von meinem Schrecken erholt hatte, versuchte ich in sehr thörichter Weise noch einmal mein Glück. Ich suchte mich ihr bemerkbar zu machen. Ich ging dicht an ihr
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/113&oldid=- (Version vom 1.8.2018)