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Die griechischen Lehrer der Wissenschaft und der Sprache haben in Rom die classicistische Reaction inaugurirt. Die Weltstellung Roms hat ihr in der Welt Geltung verschafft. Wenn man bloss das Gezanke der Rhetoren um Asianisch und Attisch ansieht, mag es eine Bagatelle scheinen. Auch als solche ist sie nur aus dem ganzen Gänge der Weltcultur verstandlich. Selbst die doch so ungemein wichtige sprachliche Reaction ist nur eine Hauptseite, in der sich die Wandelung des ganzen Empfindens der Menschen offenbart. Die Seele der Menschen hatte sich geändert, wie sich Platon ausdrücken würde. Die Werke, die in der augusteischen Zeit (besser in ihrer ersten Hälfte) gelingen und den Stempel eines gewissen Classischen tragen, das Augustusforum und die Ara pacis, die Aeneis und die Lieder des Horaz, haben mit der atticistischen Bewegung der Rhetoren und Grammatiker direct nichts zu thun: den Geist des Classicismus athmen sie doch, nur den des edelsten und darum nicht mit dem Stigma der öden Nachahmung gezeichneten, weil sie einem fremden stolzen Volke angehören und die heimische Weise nicht verläugnen.[1] Es steckt auch in der Politik des Princeps ein gut Theil dieses Geisles: Antonius wollte ein hellenistischer König werden und diese innerlich verlebte Cultur fortsetzen: er war ja auch Anhänger des Asianismus. Die griechischen Väter des Classicismus halten sich in das Reich des fernen Ideales geflüchtet, zu der ewigen Schönheit und dem ewigen Ruhme der Ahnen, theils aus Ekel an dem Chaos der Revolution, das die Welt zu verschlingen drohte, theils um den Rest des hellenischen Wesens zu retten. Jetzt war erstanden, der in dem Chaos Ordnung schuf, und man jubelte ihm als dem Heiland zu, jetzt glaubte man wirklich an die Zeil der Erneuerung, und die von classischer griechischer Cullur gesättigten Römer trauten sich zu, im Anschluss an die Classiker Classisches zu schaffen. Sie bewundern wir; die ähnlichen Aspirationen der griechischen Rhetoren, die classische


  1. Das erhebt die römische Poesie der Zeit so ungeheuer über die griechische, die in verhängnisvoller Weise die Technik sogar verlernt, weil sie die Continuität abreisst – wie die Malerei vor 100 Jahren. Es sind nach Philodem keine guten Distichen mehr gemacht worden, und als die Rhetoren aus Asien auch die Epigramme machen, ist diese rhythmische Poesie wirklich nur eine geringere Form der eloquentia. Bemerkenswerth ist, dase Strabon 628 an seinem Bekannten Diodoros II. von Sardes ἱστορικὰ συγγράμματα καὶ μέλη καὶ ἄλλα ποιήματα τὴν ἀρχαίαν γραφὴν ἐπιφαίνοντα ἱκανῶς rühmt.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_050.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)