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Noch viel weniger kommt darauf an, dass Apollodoros und einige seiner Schüler aus Pergamon gebürtig waren. Es ist überhaupt ein Unding einen Gegensatz zwischen Pergamon und Asien zu statuiren, der mysischen Stadt ohne hellenisches Hinterland, der Nachbarstadt von Temnos, wo Hermagoras her war: auch Mysien gehört zu den Barbarenlandschaften, aus denen die Atticisten Roms die Aftermuse herleiten. Als die Reliefs des grossen Altares bekannt wurden, als dann die Verbindung der älteren Künstler des pergamenischen Hofes mit athenischer Kunst und Philosophie deutlicher hervortrat, die periegetischen und antiquarischen Studien des Demetrios und Polemon verfolgt wurden, da führte uns das dazu, die Bedeutung der Pergamener zu übertreiben, und mit dem Gegensatze der Krateteer gegen Aristarch einerseits, andererseits mit dem Einflusse, den die Asiaten auf Rom naturgemäss vor den Alexandrinern gewinnen mussten, zu combiniren, und so einen gesonderten Culturkreis von bedeutender Eigenart zu construiren, dem wir seine Lebensdauer ins Unbestimmte prolongirten. Aber der pergamenische Hof hat schon die äussere Stellung, die zu solcher Wirkung erforderlich war, erst erworben, als Eumenes Asien erhielt,[1] und mit dem Erlöschen der Dynastie ist alles aus. Eumenes hat wohl wirklich mehr angestrebt, als die Stellung eines hellenischen Königs von Roms Gnaden an sich erforderte, nicht bloss in seinen Bauten, sondern auch in der Gründung eines wissenschaftlichen Centrums, wie es die Stiftung der Bibliothek mit sich brachte. Bei seinen Nachfolgern ist schon diese Absicht fraglich. Die Tendenz ist aber keinesfalls gegen Asien, d. h. gegen sein eigenes Reich gerichtet: das ist ja gar nicht auszudenken. Es ist auch nichts zu construiren, was Krates von Mallos, der stoisch gebildete Grammatiker,[2] und


  1. Attalos I. ist zwar der bedeutendste Mann des Hauses, und er hat im Gefühle sterben können, dass er, der Parvenu, das Diadem im Alter sich verdient hätte, das er als junger Mann leichtsinnig genug angelegt hatte. Aber während des ganzen dritten Jahrhunderts hat er immer wieder um seine Existenz kämpfen müssen, und die Aspiration mit Alexandreia zu rivalisiren, konnte ihm niemals kommen.
  2. Die theoretische Position der Anomalie hat ihre gute Berechtigung und hat daher bis in die Augusteische Zeit sich behauptet: dann ist es vorbei; sonst hätte sich die ihrem ganzen Wesen nach analgetische παράδοσις nicht zum Herrn machen können. Auf anderen Gebieten, namentlich in Lexikographie und Exegese, vermag ich keine pergamenische Schultradition zu erkennen. Polemon hat keine Schule gemacht.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_048.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)