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aufnehmen, da der Hiatus den Rhythmus mindestens unkenntlich macht. Gleichzeitig war in der modernsten Poesie, dem Dithyrambus, und danach im Drama immer weiter die Responsion aufgegeben: es verstand sich ganz von selbst, dass von ihr in der rhythmischen Prosa keine Rede sein konnte, wie es Aristoteles auch ausschliesst.[1] Es ist das ein sehr wesentlicher Unterschied von der musicalischen Prosa, die freilich keine quantitirende, aber doch eine logische, meist antithetische Responsion verfolgte, und in dem architectonischen Aufbau der Periode nothwendig zu symmetrischen Gliedern gelangte. Nun trat schon bei Isokrates eine Verbindung beider Principien ein; namentlich empfahl sich die Rhythmisirung zur Hervorhebung des Abschlusses der Glieder innerhalb der Periode, so wie man auch Reim und Assonanz verwandte, wohlgemerkt ohne Responsion. Ebenso hat Isokrates die Vermeidung des Hiatus durchgeführt, ja wohl er zuerst mit unerbittlicher Consequenz und diese doch auch im musicalischen Klange sehr fühlbare Kunst mit seiner Periodisirung der ganzen folgenden Kunstprosa übermittelt.[2] Andererseits empfindet man bei Demosthenes, so viel er bei Isokrates gelernt hat, eine viel weitergehende Berücksichtigung des Rhythmus, der zu Liebe er, wie die erhabene Poesie, die Häufung kurzer


  1. Die Vergleichung der εἰρομένη und κατεστραμμένη λέξις mit den ἀναβολαί der Dithyramben (dessen Vollendung in den Cantica vorliegt, die Leo erläutert hat) und den strophischen Liedern zieht Aristoteles Rhet. III, 9; den Rhythmus behandelt Cap. 8. Es ist wohl die Stelle, welche über, die Prosatechnik den entscheidenden Aufschluss giebt: τὸ σχῆμα τῆς λέξεως δεῖ μήτε ἔμμετρον εἶναι μήτε ἄρρυθμον. τὸ μὲν γὰρ ἀπίθανον. παπλάσθαι γὰρ δοκεῖ, καὶ ἅμα καὶ ἐξίστησι· προσέχειν γὰρ ποιεῖ τῶι ὁμοίωι, πότε πάλιν ἥξει. Wie dem gegenüber in der Prosa des Demosthenes und Aristoteles rhythmische Entsprechung gesucht werden kann, ist mir allezeit unfassbar gewesen; am meisten freilich, weil ich keine hören kann. Dass dagegen die Glieder der Periode sich entsprechen, wie es Aristoteles ja auch sagt, zeigt am besten Kaibel in seiner Analyse des Stiles der Πολιτεία.
  2. Man darf aber nicht vergessen, dass die Sprache überhaupt dem Hiatus feind war, und da der Schulunterricht seine Hässlichkeit immer einschärft, ist thatsächlich die Sprache immer mehr dazu gedrängt, ihn durch Wortstellung und Doppelformen zu vermeiden. Jeder Halbgebildete schrieb um Christi Geburt mit weniger Hiaten als Herakleitos oder Thukydides. Die Affen des Atticismus der Kaiserzeit haben ihn sich dann wieder mühselig angequält, um archaisch zu schreiben.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_034.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)