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ist es nicht besser um die Verbindlichkeit des Terminus bestellt; wir haben gesehen, dass Timaios und Epikuros des Asianismus bezichtigt werden, von den Atticisten aber ist, so viel ich weiss, kein einziger aus Athen, dagegen Apollodoros und Dionysios von Pergamon und Dionysios von Halikarnass sind Asiaten.

Doch lassen wir das Wort. Wenn wir die corrupta eloquentia mit dem ‚Asianismus‘ identificirt als einen bestimmten seines Zieles bewussten Stil hinstellen, machen wir den Fehler, einen negativen Begriff als positiv zu verwenden. Corrupta eloquentia, Schwulst, Ziererei, Verstiegenheit, weichliche Rhythmen, zerhackter Satzbau, falsches Pathos, und was es alles von solchen Fehlern geben mag, das sind alles Prädicate von dem Standpunkte einer Gesundheit und Correctheit aus, der sehr schön und richtig sein mag, aber den die Urheber der also kritisirten Reden niemals anerkennen werden. Aus Princip ist man weder geziert noch geschmacklos, und wenn man es in anderer Augen ist, so theilt man deren Princip nicht, es sei denn man sündigt aus Unfähigkeit. Das versteht sich doch wohl von selbst, dass es zu allen Zeiten und in allen Stilen Leute mit und ohne Geschmack gegeben hat,[1] Leute, die erhaben und die einfach sein wollten, die sich weiss und roth schminkten, die echte und falsche Brillanten trugen, die rechts und links vom Pferde fielen. Ich erlaube mir Aelian eben so unausstehlich zu finden wie Herodian, Chariton wie Alkiphrons Parasitenbriefe, und um ihrer selbst willen würde ich von keinem Rhetor des Philostratos oder des Seneca eine Zeile lesen, einerlei ob Attiker oder Asianer. Albern sind sie alle mit einander. Damit ist aber für die Stilprincipien, die der Einzelne bekennt, gar nichts gesagt. Ein positiver Begriff wird die corrupta eloquentia auf dem lateinischen Gebiete durch Quintilians Polemik, die auf Norden


  1. Auch in Athen in der classischen Zeit. Wie schon Rohde und Norden gebührend hervorgehoben haben, geisselt Aristoteles den Alkidamas wegen derselben Sünden, für die später Hegesias und Timaios die Proben liefern, sein ψυχρόν und das μειρακιῶδες der germanischen Figuren sind κακόζηλα und asianisch und corrupta, oder gehören doch dazu. Dabei ist Alkidamas ein Mensch von bedeutender Versatilität, denn seine Rede über die Improvisation zeigt wenig ψυχρά, dafür die isokrateischen Künste, gegen die er loszieht, und der Palemedes, dessen Echtheit Maass unwiderleglich dargethan hat, ist doch stilistisch ganz und gar verschieden. So lebte schon zu Platons Zeiten Jemand ganz von μίμησις, beliebig dies oder jenes Vorbild wiedergebend.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_024.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2019)