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erkennen lassen.[1] Weiter ward die Continuität gewahrt durch die praktischen Aufgaben, die das griechische Leben in so zu sagen politischen und recht vielen epideiktischen Casualreden auf Götter[2] und Menschen dem Rhetor stellte. Dazu trat die Uebung der fictiven Gerichtsrede, die Declamation, die ungleich wichtiger war als die wirkliche. Gerade in der Declamation hat sich seit den Tagen des Demetrios von Phaleron und Zopyros sehr wenig geändert. Also in dem was geredet ward, ist kein tiefgreifender Unterschied jemals hervorgetreten. Die Themata bleiben, und was den antiken Rhetoren schon als neue Gedanken erschien, ist für unser Urtheil oft nur eine neue Wendung. In der That kam es nicht so sehr auf das was an, als auf das wie, und zumal hier fragen wir nur nach den Worten.

Es kann scheinen, als befände ich mich so mit Norden in voller Uebereinstimmung, der als seine Resultate hervorhebt, dass wir in der Entwicklungsgeschichte der Kunstprosa eine direkte Verbindungslinie zwischen dem 5. Jahrhundert v. Chr. und dem 2. n. Chr. ziehen dürfen (I 299) und dass diese Linie sich bis zum Ende des Alterthums verfolgen lässt (391). Allein er will bewiesen haben, dass der Asianismus der allen Zeit eine naturgemässe Weiterentwicklung der sophistischen Kunstprosa der platonischen Zeit ist: das unterschreibe ich auch; weiter, dass


  1. Dass dies in Fetzen oder Bearbeitungen sich in etlichen Winkeln des Occidents hielt, so dass es namentlich Augustin aufgreifen konnte, ist ein Zeichen, wie zurückgeblieben und zufällig die Bildung der Hinterwäldler war. Auch der mit Gorgias (nicht Rutilius) stimmende Theil des carmen de figuris beweist das. So hat ja auch Marx die Erhaltung der Rhetorik ad Herennium erklärt.
  2. Norden II 544 erkennt wohl die Verwandtschaft der christlichen Festpredigt mit den λόγοι εἰς θεούς, aber wenn er hervorhebt, dass sie erst im 4. Jahrhundert auftritt, so hätte er ihre Abhängigkeit zuversichtlich behaupten sollen. Gerade da liegt die Theorie bei Genethlius vor, und weiter zurück die Reden des Aristides. Die Inschriften zeigen, dass die Sitte tief in die hellenistische Zeit hinaufreicht: die Rede löst den epischen und lyrischen Hymnus ab. Den Unterschied, dass die Christen an die Schrift ansetzen, empfinde ich nicht schwer: die heilige Geschichte ist z. Β. in allen γοναὶ θεῶν gleichermaassen gegebener Text. Die Schriftauslegung der Kirche nennt sich ὁμιλία, und sie ist, wie bei Origenes sonst die Ueberlieferung, wie die Form lehrt, aus der Katechetenschule erwachsen; aber der Name ist modern sophistisch im höchsten Grade, denn er ist von den Homilien des Kritias (Ar. θ. Atη. I 175) entlehnt: ὁ θεῖος λόγος κριτιάζει, würde Philostratοs sagen.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_021.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)