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ihre großen Bedenken. Denn wer bürgt dafür, daß diese Einzelvorgänge recht aufgefaßt wurden, daß – man denke nur an die differierenden Berichte über die Austrittsbewegung in Berlin und anderwärts, wo der Wunsch nach Zahlen der Vater ihrer Feststellungen ist – mit objektiver Wahrheit berichtet ward? Es ist aber nicht nur den Gegnern des alten Glaubens, wenn dieses mir unsympathische Wort nun doch gebraucht werden will, zur Last zu legen, daß sie wahrnehmen, was sie sehen, und berichten, wie sie es aufgefaßt wissen wollen, sondern auch auf unserer Seite, die doch völlig der Wahrheit, nicht wie sie dem Empfinden sich gibt, sondern gerade dann, wenn sie ihm widerspricht, dienen will und soll, wird gefehlt. Die Presse, die mit heiligem Ernste und lautrem Eifer Gottes Reich in alter Weise mit neuen Mitteln fördern will, muß vor allem sich befleißen, Einzelvorgänge im gegnerischen Lager nicht auf sich gestellt sein zu lassen und in solcher Isoliertheit einzuschätzen, sondern das ihnen einwohnende Wahrheitsmoment noch zu erforschen und dessen zu gedenken, daß nicht unbedingt innerlich logische Folge ist, was in zeitlicher Darauffolge sich entwickelte: non semper propter hoc, quod post hoc. Welche Gedanken müßten sonst der Reformation, der Evangelisierung, ja der apostolischen Tätigkeit selbst entgegenstehen! Eben weil wir vor Gott mit unserem Urteil bestehen wollen, müssen wir die Symptome ernstlich prüfen, ehe wir aus ihnen allgemeine Werturteile deduzieren.

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 Nur ein Beispiel. Mit Recht ist bisher darauf hingewiesen worden, daß der sog. liberale Protestantismus, das dogmenlose Christentum, in der äußeren Mission wenig ausrichte. Bald drei Jahrzehnte hat der „Allgemeine evangelisch-protestantische Missionsverein“ hinter sich und konnte trotz seiner gewiß in weiten Kreisen geteilten Grundanschauungen von Duldung, Ehrung, Hereinnahme verfeinerter heidnischer Ideen es doch nur auf sieben Missionare (von 920 deutschen) und auf 130 000 Mark Jahreseinnahme gegenüber 81/2 Millionen der alten deutschen Missionsgesellschaften bringen. Aber bei der Aufteilung der sog. Missionsnationalspende wurde man inne, daß eine verhältnismäßig große Summe für die liberale Mission gegeben wurde, und wird vorsichtiger in dem Urteil sein müssen, daß diese keinen Boden finde, obwohl sie reichlichen haben könnte. Matth. 7, 15 ff. lehrt Christus erst die Regelmäßigkeit von Symptomen

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Hermann von Bezzel: Zeitbetrachtung. A. Deichert’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1914, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Zeitbetrachtung.pdf/4&oldid=- (Version vom 10.9.2016)