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Schulen verboten sich in die Stille der Kirchenmauern flüchtet, die mit der ebenso tönenden als falschen Phrase von Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit bedeckt sind! So steht es über der Domkirche zu Paris, der Notre Dame, von deren Turmgiebel Christus seine Apostel herabsendet, um die Weltstadt zu lehren. Und so steht es an der Rückseite der Morgue nebendran, wo die Toten schaugestellt sind, welche die Seine nächtlicherweile anschwemmt und die Straßen am Morgen an verschwiegenen Orten beherbergen. – Gleichheit – wenn der Millionär, der fern vom Kriege seine Papiere hochtreibt und seine Aktien steigen und sicher sieht, dem armen Teufel eine Fünffranknote wohlwollend zusteckt: voila, mon ami – zum Dank dafür, daß Sie sich für meine Interessen erschießen lassen! Gleichheit, wenn die Dame der Welt an einem einzigen Ballabend Spitzen trägt, von deren Wert die armen Lumpensammler droben in der rue Crimée auf dem Montmartre Monate leben könnten. Und Brüderlichkeit ohne Ende und Grenze, so lange der Feind vor den Toren steht. Dann aber das alte: Ich weiß nicht, woher er ist und kenne den Menschen nicht. Freiheit für alle, die nichts glauben wollen. Aber nicht Freiheit für den alten Glauben an Jesum Christum. Wer durch die Straßen von Paris gegangen ist, etwa von der Stätte, wo Julian der Abtrünnige geboren ist, bis zum Grabmal Richelieus – welch eine Predigt hat der vernommen! Dort die alten ehrwürdigen Gestalten der Magister von der Sorbonne – nos sumus omnia! – die großen Lehrer der göttlichen Weisheit, einsame Denker, der monarcha theologiae an der Spitze und die frommen Prediger späterer Zeit, die Massillons und Fléchiers und Bossuets und mit dem frommen Lächeln voll Lindigkeit und Leutseligkeit der treue Vincenz di Paulo, der Vater der Armen und Tröster der Verlassenen. Und daneben die Hohnrufe der Revolution: je vous ferai sauter 1es têtes, ich will euch die Köpfe springen lassen, schreit der Arzt Guillotin. Und Paul Marat kreischt Spott und Schande gegen Thron und Altar. Vor der Madame la Raison, dem schnöden Weibe auf dem Hochaltare der Notre Dame knieen huldigend auch Priester von Paris! –

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Hermann von Bezzel: Unsere Feinde. , Ansbach ca. 1915, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Unsere_Feinde.pdf/7&oldid=- (Version vom 10.9.2016)