Seite:Hermann von Bezzel - Erziehungsfragen.pdf/8

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

müde und mit sich einig geworden, ins Kloster zu gehen, Gehorsam und Observanz zu geloben und auf die Ewigkeit sich stille zu bereiten. Wenn nun der Novizenmeister zu ihm gesagt habe: Bruder Kunrat, Ihr müsset heute die Zellen der Mönche und den Estrich fegen, habe er gesagt: Ja, Herr, aber bedenket, daß ich ein ehrlicher Rittersmann gewest und solcher Arbeit nicht gewohnt noch willig bin. Und wenn der Prior gesagt habe: Bruder Kunrat, nehmt saccum per naccum den Sack auf die Schulter, damit Ihr terminieret (auf den Dörfern umhergeht) und Brot, Eier und Schmalz für das Kloster auf die Fasten heischet – da habe er entgegnet: Ja, hochwürdiger Herr, aber einem alten Edelen steht solche Arbeit nicht an. Wenn aber der Abt zu ihm gesagt habe: Bruder Kunrat, rüstet euch und sattelt, denn Ihr müßt ins Gejaid und einen feisten Hirschen holen, damit wir morgen Dominum Reverendissimum, den hochwürdigsten Herrn Bischof nach Gebühr bewirten, da habe er gesagt: Ja, hochwürdigster Herr Abt, darum habe ich mir lassen die Platten scheren (Tonsur), daß ich Euch aller Dinge gewähr und gehorsamlich sei. Ja, aber. Was an Geboten gefällt, wird gerne getan, denn der Mensch dient sich dabei selbst. Was aber der Natur sauer eingeht, dessen weigert sie sich. Wehe der Mutter, die dieses „aber“ des unwilligen Kindes gewähren und ihre Anordnung von der Laune und Willkür des Kindes aufgehoben sein läßt. Aber wohl jedem Erzieher, bei dem die Widerrede nicht einmal in Gedanken sich herauswagt, geschweige denn, daß sie zum Worte käme! Wille des Erziehers und Willigkeit des Zöglings müssen eins werden dem größten Vorbilde gemäß: Ja, Vater, ja von Herzensgrund. Denn nur einen fröhlichen „Geber seines Willens“ hat Gott lieb. Wer ein Kreuz mit leiser Hand und oberflächlich berührt, dem dünkt es rauh, hart und schwer. Wer es aber mit beiden Händen faßt, versteht etwas von dem

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Erziehungsfragen. Müller & Fröhlich, München 1917, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Erziehungsfragen.pdf/8&oldid=- (Version vom 9.9.2016)