Seite:Hermann von Bezzel - Erziehungsfragen.pdf/12

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

 Lerne dich anstrengen, die Stränge anziehen, die Muskeln anstraffen, was dir schwer dünkt, nimm zuerst vor, es wird nicht leichter, wenn du es hinlegst, sondern sieht dich immer fremder, immer drohender an. Du gewinnst immer weniger Herz dazu und wirst deines Lebens nimmer froh. Tue deine Arbeit, auch die kleinste und unscheinbarste, so gut du kannst und laß nicht ab, bis sie geraten ist. Die Mutter, welche die Aufgabe des Kindes überhört und nicht nachgibt, bis sie fehllos gelöst und gelernt ist, der Vater, der sich die Zeit abnötigt, um die Arbeiten des Sohnes anzusehen und ungeeignete zurückhält, tuen ein gutes Werk. Wenn aber die Eltern das „nur fertig“ gelten lassen, um sich Aufregung zu ersparen, so mögen sie sich nicht wundern, wenn in dieser lauen, weichen Luft die Mittelmäßigkeit gedeiht, während das Kind, das still und unerschlafft am kleinsten Punkt die größte Kraft einsetzt, zu Größerem und Großem befähigt wird. Der Pflichtbegriff muß ernst eingeschärft und durch Wort und Wandel geübt und geheiligt werden, daß das goldene Wort von der „Arbeit, die an sich Lust ist“, dieser Wahlspruch Leopold von Rankes, dem Kinde teuer wird. Tue alles möglichst gut und wisse, sagt Fichte, daß von der Leistung des einzelnen eine Welt abhängt. –

.

 Den letzten, rauhesten Stab endlich, den Gott in das Joch der Jugend einreiht, heißen wir Verzicht. Das Kind muß frühzeitig etwas stehen sehen lernen und können. Der Vater, der es nicht tragen kann, daß seine Kinder beim einfachen Essen zusehen müssen, während er selbst Besseres genießt, weiß in seiner Gutherzigkeit nicht, daß Gott „frische, rote Wangen“ auch bei geringem Mahle gibt und hat von dem jungen Studierenden am Hofe zu Babylon noch nichts gehört der bei Zugemüse und Wasser besser gedieh als wenn er die niedliche Speise vom Königstische genossen hätte. Die Mutter, welche das Töchterlein mit etlichen Pfennigen in den

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Erziehungsfragen. Müller & Fröhlich, München 1917, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Erziehungsfragen.pdf/12&oldid=- (Version vom 9.9.2016)