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Gebetslebens, Deines Betrachtungslebens, Deines Wirkens, Schaffens, Arbeitens, Du hast uns das Heilmittel gegeben, „Dein Wort ist die Wahrheit.“ Das sei der Gegenstand meiner Fürbitte für Sie.

 Nach diesen einleitenden Bemerkungen möchte ich an das hohepriesterliche Gebet selbst herantreten und den Stoff so behandeln, daß wir zunächst eine exegetische Erklärung und sodann eine praktische Anwendung geben. Für beides erflehen wir den Segen Dessen, ohne den wir nichts thun können.

 Der Name „hohepriesterliches Gebet“ ist noch nicht so sehr alt. Chyträus, Theologe im Mecklenburgischen, welcher bei der Abfassung der Konkordienformel mitbeteiligt war, hat diesen Namen zuerst gebraucht, weil in diesem Gebet unser HErr und Heiland vorweg genommen hat Seine Stellung, die Er jetzt der Welt gegenüber hat, vorweg genommen das hohepriesterliche Amt, dessen wir uns jetzt getrösten. Es ist, als ob uns der HErr mit diesem Gebete den Vorhang in etwas möchte heben, der noch vor Seinen Augen ist und die Herrlichkeit verhüllt, vor Seinem hohepriesterlichen Leiden und Wirken hat Er Sich Seinem himmlischen Vater geoffenbart; indem Er in beschauender und betrachtender Liebe zuvor an Ihn herantritt, wird er befähigt, in hohepriesterlichem Wirken und Leiden den Gehorsam zu üben. Es ist das Gebet aller Gebete, leicht an Worten, und groß an Inhalt. Es hat am wenigsten Formulierung und doch so viel Worte, so viel hohe Gedanken, daß Spener (1635–1705), der auch für unsere Kirche von unnennbarem Segen gewesen, nie über dies Gebet zu predigen wagte, aber vor seinem Scheiden es sich dreimal lesen ließ. Der Vater unserer Kirche, Luther, der am allermeisten verstand, was unserer Kirche not that, hat Abschiedsreden Christi geschrieben und darin auch das hohepriesterliche Gebet betrachtet. Diese Abschiedsreden gehören zu dem Besten, was Luther geschrieben hat und seien hiemit auf das Wärmste empfohlen.

 Nur eine Frage erhebt sich: Wo hat der HErr Christus dies Gebet gesprochen? Die drei anderen Evangelisten haben dies Gebet nicht. Allein Johannes zeichnet es auf. Von Seinem