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können, meine Seele nehmen und in einen Holzblock eine Oeffnung bohren und meine Seele hineinlegen: Dann kommt der Teufel und holt sie.

 Gerade für uns Christenmenschen ist das furchtbare Gefahr, daß wir für andere sorgen und die eigene Seele vergessen. Nein, zuerst muß ich für meine eigene Seele sorgen. An jenem Tage fragt man uns zunächst, ob unsere Seele geborgen ist. „Da kann dir niemand helfen,“ sagt Luther, „da stehest du allein.“ Nimm deine Seele in deine Hände. Das Mitleid mit der viel geängsteten, geplagten Seele kann uns Mitleid gegen andere geben. Hat nicht unser HErr Christus so gethan? Hat Er nicht mit Sich Selbst auch Mitleid gehabt? „Wie ist Mir so bange.“ – „Er hat Thränen geopfert in den Tagen Seines Fleisches.“ Bei allem merkt man das Seufzen des HErrn heraus, wenn Er nun heraustreten muß in eine Welt, die Sein nicht wert ist.

 Was ist die Reue? Nichts anders als Mitleid mit uns selbst: Was habe ich mir gethan, wie habe ich mich gemordet, wie habe ich mir das Leben geraubt! Aus welchen letzten Beweggründen ging die Reue hervor? Aus dem Mitleid mit unserer armen Seele. Es hat jeder Mensch Stunden, wo er ruft, wie der Apostel: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Das ist der Gipfelpunkt des Mitleides mit uns selbst: „Ich zum Unglück geborner Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ Das ist nicht Rhetorik, sondern eine Frage, welche Antwort erwartet. Solche Stunden, in denen diese Frage entsteht, können allen Menschen kommen. Die Humanität kennt kein Mitleid mit sich selbst. Sie kennt nur Hochmut. Die Humanität ist nichts anders als das Wegwerfen der Brocken von des Reichen Tisch. Nicht weil man arm ist, hilft man den Armen, sondern weil man reich ist. Und das ist falsch. Was ich mit mir selbst empfinde, das kann ich ruhig auf den andern übertragen. „Nur der ist wirklich imstande, zu fühlen, was ein König ist, der ein entthronter König ist.“ (Pascal). Die Schwestern insonderheit, die berufen sind, in großen Städten zu wirken, sollen sich den Unterschied zwischen Humanität