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 Lassen Sie mich noch an gestern anknüpfen. Es ist nicht zufällig, daß die Gnadengaben in Korinth so reichlich waren. Charismen knüpfen immer an natürliche Gaben an. Was ist ein Charisma anders als eine Veredlung, Läuterung und Verklärung natürlicher Gaben? Wenn dem nun so ist, wäre es nicht auch möglich, daß durch die Gnade Gaben hervorgerufen würden, die scheinbar nicht da sind, in Wirklichkeit aber nur gebunden sind. Wenn sie gebunden bleiben, ist es unsere Schuld, aber Seine Gnade kann auch das Charisma geben, wo scheinbar natürliche Gaben nicht vorhanden sind. Es ist dies eine Erfahrung, die jeder Lehrer macht, daß einem Kinde plötzlich ein Licht aufgeht. Die Gnadenwirkung kann eine natürliche Gabe entfesseln. Bei GOtt ist kein Gegensatz zwischen Natur und Gnade. Jakobus: „So jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte GOtt, ff.“

 GOttes Natur ist Gnade, GOttes Leben ist Gnade. GOtt giebt, wenn man einfältiglich bittet. (Einfältiglich bitten heißt hier: „ohne weiteres.“)

 Lassen Sie uns auch etwas Langmut üben im Gemeinschaftsleben. „Wo ist ein GOtt, wie Du bist?“ ER temporisiert mit uns, Er wartet. „Meine Stunde ist noch nicht gekommen,“ davon leben wir jeden Tag und trösten uns dessen. Indem wir täglich jünger werden, bekommen wir täglich neue Hoffnung. Es ist ja sehr schnell gethan. jemanden wegzuwerfen, das kann man mit einem Federstrich. Lassen Sie uns um das Auge bitten, das unterscheidet, wo die Pflicht Gerechtigkeit gebietet und wo die Barmherzigkeit. Ich will mich lieber mit dem Hoffen scheinbar kompromittieren, als ohne Hoffen mein Recht behalten. Dies sei besonders gesagt für solche, welche später in leitende Stellung kommen. ER nützt die Zeit aus, um zu warten. Es ist so unendlich leicht, ein Menschenherz aufzugeben und so schwer, ein Menschenherz zu verstehen. Bei unserem HErrn ist Gerechtigkeit und Barmherzigkeit eins. Aber wir dürfen nicht vorher die Gerechtigkeit hervortreten lassen, ehe wir nicht alle Phasen der Barmherzigkeit haben walten lassen. Alles, alles von Barmherzigkeit soll sich erst erschöpfen, aber dann, wenn die Barmherzigkeit als Schwäche angesehen