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geduldete sich fühlen. Unser Bestreben, unsere Arbeit, unser Ringen, unser Bitten gehe dahin, daß die Sache nur eine geduldete bleibe. Die Not wächst ins Immense, die Hilfsbereitschaft nicht in diesem Grade, infolgedessen müssen die einzelnen mehr leisten. Die Welt freut sich dieser Mehrleistung, läßt sie sich gefallen – wir aber müssen bedenken, daß diese Mehrleistung, wenn sie nur eine quantitative, unbedingt auf Kosten der qualitativen geschehen muß. Die Schwestern geben aus und nehmen nicht mehr ein; sie verlieren sich in ihrer Werkgeschäftigkeit, deshalb glaubte ich, Ihnen das hohepriesterliche Gebet auslegen zu dürfen, weil in diesem Gebet die Wurzeln der Kraft für das Leben Seiner Kirche liegen und das rechte Verhältnis dargestellt wird zwischen der schauenden und anbetenden Liebe einerseits und der wirkenden anderseits. Würde unsere Liebe zu dem HErrn und Heiland nur eine schauende und betrachtende sein, wie wohl in der alten Kirche manchmal gemeint wurde, so würde das ein Leben des Genusses werden. Würde unser Verkehr mit unserm barmherzigen Hohenpriester und durch ihn mit unserm HErrn und GOtt bloß beschaulicher, betrachtender Art sein, so müßte dieser Verkehr Genuß werden um des Genusses willen, – er würde bald kranken und dann unfähig machen, die Zeichen der Zeit und ihre Aufgaben zu verstehen. Würde unsere Liebe bloß eine wirkende (in anderer Weise wirkend) – sein, so müßte sie sich in Vielgeschäftigkeit verlieren, die noch weit gefährlicher wäre, als die Vielgeschäftigkeit der Welt. Christen werden durch die Vielgeschäftigkeit sterben; der eine stirbt am Zuviel des Genusses, der andere am Zuviel der Arbeit – unser Heiland will uns das rechte Verhältnis zwischen der anbetenden und betrachtenden, – wirkenden und leidenden Liebe zeigen. Lassen Sie uns einen Blick werfen in das Leben des HErrn: Ein Kirchenlehrer hat unsern HErrn Christum den großen Einsamen geheißen, Er ist der große Einsame, der, weil Er Sich von der Welt nicht verstanden wußte und fühlte, allein durch die Welt ging mit Seinen Sorgen, Anliegen und Gebeten, unverstanden und ungekannt, der Sich immer und immer wieder zurückzog in die innersten Gemächer,