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ist ein neutraler Begriff; aber es wird eine Hauptaufgabe im Christenleben sein, die Zeit zu ethisieren, zu versittlichen. Unser Freiheitsverhältnis zur Zeit ist dasselbe, wie unser Freiheitsverhältnis zum Gesetz. Ziel der Freiheit ist, daß GOttes Gebote uns nicht mehr als etwas fremdartiges gegenüberstehen, sondern daß wir sagen können: „Deinen Willen, thue ich gerne, und Dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.“ GOtt dienen dürfen, das ist die höchste Freiheit. Was wäre das für eine Freiheit, wenn wir unter den Geboten GOttes seufzen und nach der Freiheit schmachten würden! „Das ist die Liebe zu GOtt, daß wir Seine Gebote halten, und Seine Gebote sind nicht schwer“ dem, der Ihn liebt. Darin steht unsers ganzen Christenlebens Freiheit, ein Gebot nach dem andern in uns so aufzunehmen, daß wir sagen müssen: „Das ist unser Wille.“ So ist es bei der Zeit auch. Niemals darf ein Christ sagen: „Ich habe keine Zeit.“ Es giebt in jeder Gemeinschaft Menschen, die ihre Vergangenheit hinter sich herschleppen, weil ihre Vergangenheit etwas Unverstandenes, für sie selbst ein Rätsel war. Die Vergangenheit ist ihnen eine Summe von Jahren, die ihnen zu schwer geworden. Es ist kein ethischer Gehalt in den Jahren gewesen, sie haben gelebt, nicht die Zeit beherrschend, sondern die Zeit hat sie beherrscht. Darin besteht unsere Sittlichkeit, daß wir die Zeit auskaufen. Man sagt, das kann bloß das Genie. Das ist nicht wahr. Das kann jeder Mensch, in der Nachfolge Christi die Zeit ausnützen.

„Wem Zeit wie Ewigkeit
Und Ewigkeit wie Zeit,
Der ist befreit von allem Streit.“

 Jede vergangene Stunde war auch ein vergangener Gedanke, eine Auslebung eines ganz bestimmten Willensaktes. Wer so handelt, der handelt sittlich. Wem die Zeit nicht Geld ist, der ist kein Christ. Wer die Zeit nicht mit neuen Lebensgedanken füllt, der verdient nicht, daß er lebt; der wird willenlos vom Strom der Zeit fortgespült.

 „Die Buße thun, verjüngen sich täglich. (Hirte des Hermas, um 100 nach Christo).

 „Das Kind im Mutterschoß ist alt genug, um zu