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Freunden auch so. Wenn dir ein Mensch lieb ist und du kannst sein Tun nicht mehr verstehen, so glaubst du an ihn. Das, was du bisher an ihm erfahren hast, war ja so ganz anders, und so glaubst und hoffst du, daß auch das jetzt Unverständliche seinen Grund habe. Und was du deinem Freunde gerne gewährst, das gewähre auch deinem Gegner von Herzen, indem du zunächst in deinem Sinn Milderungsgründe, Erklärungsmöglichkeiten, freundliche Deutungen, milde Wendungen seines Unrechtes erbetest und ersinnst, dann sie auch verwendest und gebrauchst, ihn zu entschuldigen.

 Soll ich also schwarz – weiß, sauer – süß, unrecht – recht nennen? Da sei Gott vor! Aber „Ich will vergelten, die Rache ist mein“ spricht der Herr. Wir aber sollen entschuldigen, so lange es möglich ist und so gut wir es können. Denke daran, wenn du die Eltern, die Erziehung und die Verhältnisse dessen gehabt hättest, den du jetzt so scharf verurteilst! Denke, wie dich dein Gott so freundlich geführt hat und entschuldige! – Und denke Gutes von deinem Nächsten! Bernhard von Clairvaux hat sich nie, so wird erzählt, einreden lassen wollen, daß ein Mensch schlechter und unfrömmer sei als er und er besser und frömmer als irgend ein Mensch. So sei es auch bei dir! Denke daran, was aus dir hätte werden können, nachdem dich dein Gott so gnädig geführt hat, und wie wenig aus dir geworden ist! Und so habe gute Gedanken und milde Worte über deinen Nächsten und rede nicht von ihm in der Absicht, Übles von ihm zu hören oder ein Urteil über ihn herauszulocken, sondern suche es zurückzuhalten und wende alles zum Besten!

 Ihr seht, welch weites Feld hat die Kritik erobert und welch weites Feld ist der Barmherzigkeit geschenkt!

 Die Kritik und Härte hat das weite Feld erobert und auf ihm bleichen Totengebeine, zerstörtes Glück, Raub der Ehre, Vernichtung des Lebens. Und dort ist das weite Feld, über dessen Pforte geschrieben steht: Mir ist Erbarmung