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euere Worte! Achtet wohl auf eueren Wandel!

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 Heiliget euere Phantasie! Die Phantasie ist ein Organ, das der barmherzige Gott uns gegeben hat, damit wir über die Schwere der Wirklichkeit hinauskommen. Wenn um dich herum alles trüb und finster ist, hebt dich die Phantasie, die dir dein Gott schenkte, die Kraft, dich andern Bildern anzuvertrauen und andere Bilder in dir hervorzurufen, weit über die gemeine Wirklichkeit der Dinge und deren Nüchternheit hinaus. Ist es nicht Phantasie, wenn der Heiland mitten in seinen Enttäuschungen die Lilien auf dem Felde ansieht, die nicht spinnen, nicht sammeln, nicht arbeiten und doch in übersalomonischer Pracht gekleidet sind? Ist es nicht heilige Phantasie, wenn Er den Vögeln nachschaut, die sorglos und frei durch die Lüfte eilen und der himmlische Vater nährt sie doch? Ist es nicht eine unermeßliche, übermenschliche Phantasie, wenn Er erzählt, daß einmal Felsen brechen, Welten ins Meer sinken, Erden sich bewegen und Sterne ihren Lauf verändern werden, die Sonne ihren Schein und der Mond seinen Glanz verlieren wird und über des Himmels Gewölbe das Zeichen des Menschensohnes erscheint, auf daß Er selbst mit allen seinen heiligen Engeln folgt? Freilich, ihr denkt, Phantasie sei des Herrn Jesu nicht würdig; aber es ist die Phantasie, die Kraft, mit der Er sich in das Geschaute und Erlebte versetzt, mit der Er das Geschaute als Bild in die Wirklichkeit überführt. In einer seiner ersten Predigten vom Jahre 1836, in den Predigten, die er in St. Ägidien in Nürnberg hielt, hat der sel. Wilh. Löhe kraft dieser Phantasie geredet, wenn er den jüngsten Tag und sein Herannahen schildert: das Kind, sagt er, geht in die Schule, wie an jedem andern Tag auch; die Frau arbeitet, der Mann geht seinem Berufe nach. Man wird am Mittag nicht ahnen, daß am Abend alles begraben ist. Wen das