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allerlei Gespenstern und drohenden Gestalten erschrecken heißt das Kindesleben erschweren; sich gar erfreuen am Schrecken der so geängsteten Kinder ist eine Untat, die mancher Vater schon schwer büßen mußte. Ihr seht es oft, daß Leute mit Kindern Mutwillen treiben, sie erzählen ihnen schauerliche Märchen, sie bringen sie auf furchtsame Gedanken und das Kind wird scheu, schüchtern, zaghaft, fürchtet sich da, wo nichts zu fürchten ist, und verliert die Furcht, wo alles gefürchtet werden muß.

 Sei nicht zu streng mit dem Worte und nicht zu lange im Nachtragen! O ihr Eltern und Erzieher, die ihr dem Kinde nie verzeihen könnt, sondern immer wieder auf seine alten Fehler zurückgreift, ihr seid Mörder der Hoffnung des Kindes! Es gibt Erzieher in Kirche und Schule, es gibt Eltern und Anverwandte, die, wenn ein Kind einmal gelogen hat und ein andermal, immer wieder auf das erstemal zurückgreifen und so fort und fort das Kind an all das, was vergeben und vergessen sein sollte, erinnern. Da erwacht im Kinde die Bitterkeit, es hat den Glauben an deine Verzeihung verloren und im Trotz gibt es die Hoffnung auf, daß es mit ihm noch besser werden könnte.

 Manche Eltern meinen, das treue Gedächtnis, mit dem sie ihrer Kinder Unrecht aufzählen und summieren, sei eine Großtat in der Erziehung; nein, das ist der Reif in der Frühlingssaat, das ist der Frost in dem ersten Werden des Lebens! Der da von sich sagt, daß Er siebzigmal siebenmal uns vergebe und unsere Sünde in die Tiefe des Meeres seines Erbarmens versenke, über unsere Missetat wie eine Wolke und über unsere Sünde wie ein Nebel sich breite, daß sie vor der Sonne wie ein wesenlos Schemen verflüchtige, begehrt, daß auch wir von ganzem Herzen vergeben. Und wenn ein Mutterherz hundertmal durch ein Kind getäuscht wird – wenn ein Mutterherz nicht mehr hoffen könnte, wer soll dann noch des Kindes sich annehmen?