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 Darum heißt es ausdrücklich: „Werde wacker und stärke das andere, das sterben will!“

 Scheinwesen ist unsagbar ansteckend. Keine Krankheit, keine Seuche in der ganzen Welt ist es so. Wenn man sieht, mit wie leichtem Kauf ein Mensch fromm, interessant werden kann, durch welche leichten Mittel man liebenswürdig wird, so reizt das zur Nachahmung.

 Darum sieht der Herr neben dem vielen Scheinwesen auch die Gefahr der Ansteckung. Wenn in einer engen Gemeinschaft viel Scheinwesen ist, so will auch das übrige sterben. Nichts lernt man leichter als die fromme Phrase. Denn da gehört gar nichts dazu, weder Wille noch Gedanke. Man redet einfach nach. Das Scheinwesen steckt an, weil der Mensch ohnehin zum Schein neigt. Welch ein Bild! Eine Gemeinde mit ihrem Hirten schlafend! Aber nicht der Schlaf, den der Herr seiner Gemeinde aus Gnaden beschert hat nach heißem, mühevollem Tagewerk, die Ruhe, die noch vorhanden ist dem Volke Gottes. Auch nicht der Schlaf, den der Herr den Seinigen verzeiht; die klugen Jungfrauen haben auch geschlafen und dieser Schlaf hat ihnen, wenn auch nicht zur Ehre, doch auch nicht zur Sünde gereicht. Nein, es ist der Todesschlaf! Wehe dem Menschen, der erst in der andern Welt vom Scheine los wird! Darum rüttelt der Herr den schläfrigen Bischof und seine Gemeinde auf: Wache auf! und dann wirst du gleich sehen, wo es fehlt: „Stärke das Uebrige, das sterben will!“ Also haben wir noch den Trost, daß er bis zum Ende immer und immer noch aus dem Schein aufwecken will. Er tut es