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aus unseren Kindheitstagen ein Christenmensch uns in der Erinnerung steht, nicht weise, nicht bedeutend, nicht gewaltsam, aber in der Liebe ergraut; wer ein gutes Wort wollte und einen freundlichen Blick, der fand ihn; wer einen guten Rat bedurfte, der bekam ihn und einen Gottessegen mit auf den Weg – mit einem Worte: „Du hast eine kleine Kraft, aber du hast mein Wort behalten und meinen Namen bewahrt.“ Es ist in dieser Gemeinde alles vereinigt, was einen Menschen zu einem christusmäßigen machen kann. Es war kein hervortretender Glanz, nicht ein Phänomen; aber die Treue hielt an, die Treue hielt aus; denn sie hielt sich an den Treuen. Und wenn man fragt: von welcher Kraft tust du das, immer ruhig und immer ruhig zu sein? Von welcher Kraft tust du das, daß du immer ruhig bist in deinem Glaubensleben und immer ruhig in deinem Liebesleben, – so zeigt sie uns den, dessen Wort sie behalten und dessen Namen sie bewahrt hat. Der selige Kögel[1] hat kurz vor seinem Tode einmal in einem Gedicht eine alte Freundin seines Hauses gepriesen: wie wenn der Lufthauch über ein Resedabeet hinziehe, der würzige Duft alles erfülle, so sei diese Seele gewesen. So rührte Christus alle heimlichen Kräfte dieser Gemeinde, ihre verborgenen Güter, ihre so unscheinbaren und doch so reich gesegneten Gaben an. Und durch ihr ganzes Wesen gings: wie majestätisch ist doch Jesu Christi Stille! Daß wir auch noch so werden möchten, so daß um uns sich etwas verbreitete von dem stillen Frieden, der aus Jesu ist! Daß über unser ganzes Wesen sich etwas ergieße von der Herrlichkeit, die bei ihm ist! Es bleibt doch das Schönste im Leben, eine Abendlandschaft

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Rudolf Kögel (1829–1896, evangelischer Theologe und Kanzelredner) in dem Gedicht Einer Entschlafenen (März 1896).