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Sinn der unablässigen Liebe. Oft habe ich auf das Wort des seligen Nitzsch[1] (gest. 1868) hingewiesen: „Ich kann nichts mehr, nicht mehr hören, sehen, sprechen, aber ich kann lieben.“ Und wir können es so wenig. Wir führen zwei Bücher in unserm Christenleben. In dem einen schreiben wir die 10 000 Pfund an, die wir unserm Gott schuldig sind und streichen jeden Tag etwas mehr und bedienen uns mit einer Selbstabsolution, die uns Gott nicht gegeben hat. In das andere schreiben wir die empfangenen Kränkungen, Beleidigungen, Mißverständnisse, Undank und werden bald die 10 000 Pfund erfüllt haben und rechnen dann mit unseren Schuldnern hart ab. Wäre es nicht gut, wenn wir bald aufräumen wollten mit allen Gereiztheiten und Bitterkeiten? Wenn sie sich erst festgesetzt haben im Herzen, wird es so schwer, sie wieder hinauszutun und im Sterben aller dieser Dinge los zu werden. Machen wir doch reine Bahn durchweg und lassen wir niemals die Sonne untergehen, wenn Verstimmungen kommen; denn um den Abend und die Nacht regen sich alle wilden Tiere, wie es im 104. Psalm heißt, und was vor Sonnenuntergang nicht ausgeglichen ist, das wächst, während wir schlafen, zu einer solchen Macht, daß es am nächsten Morgen kaum mehr ausgeglichen werden kann.

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 In dieser ernstbewegten Zeit bedarf es einer Verteidigung Jesu Christi. Nicht das Glaubensleben allein, auch nicht das Liebesleben allein, wie es jetzt noch von kümmerlichen Resten christlichen Glaubens getragen, ab und zu Anstrengungen macht, sondern allein der in der Liebe energische Glaube ist eine Rechtfertigung des Herrn. Daß der Glaube allein keine Verteidigung

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Immanuel Nitzsch (1787–1868) war ein evangelischer Theologe.