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die Heiligung des eignen Lebens auf, man wird lässiger und gibt sich nach, beschönigt bei sich aus den Begleitumständen heraus, was man bei andern scharf verurteilen würde und hart verurteilt, um ja vor der Welt rein dazustehen (Röm. 2, 21). Man predigt von dem Ernste des Gerichts und spricht sich ein, es werde so ernst nicht werden, geht den einmal eingeschlagenen Weg und läßt sich die innere Verarmung nicht dauern. Und doch stellt der Erzhirte so viel Mahnzeichen uns an den Weg! Die Gemeinde wird im Gottesdienste schlaff, die Ernsten in ihr ziehen sich zurück. Suche nur keiner zunächst die Schuld in der Sucht nach Abwechslung, die der gewohnten Speise überdrüssig mache. Frage vielmehr jeder, ob er noch sein Herz in die Predigt lege und wie sein Herzensacker beschaffen sei. Viel Predigen hat nicht nur den Leib müde, sondern auch das Herz kalt und hart gemacht. Denke an deine Seele! Du übersiehst einen arbeitsreichen Sonntag. Wie viele Kinder hast du getauft, wie vielen das heilige Nachtmahl gereicht! Hast du bei jedem Kinde das große Geheimnis bedacht und betrachtet, in das du es hast einsenken dürfen, bei jedem Abendmahlsgast die Bitte innerlich emporgesendet, daß der Herr ihn erquicken möge, so daß deine Seele noch in gesammelter Andacht stand, als die letzte Reihe der Gäste kam? Oder liegt all dieses wie eine rein mechanische Handlung hinter dir, die eindruckslos an dir vorüberging? Der Kranke verlangte sehnlich nach dir, du aber schobst den Besuch auf gelegenere Zeit auf. – Und in der Nacht ist er gestorben. Diese Arme wollte diesmal keine irdische, sondern eine himmlische Gabe, sie wollte nur deine Zeit und Gehör für ihre