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 Jesu Predigt ist nie kasuell, weil sie alle Einzelfälle in den einen großen Gesamtbegriff von Sünde und Gnade befaßt, und immer kasuell, weil sie an das Einzelne anknüpft, an die Tränen der Witwe sich wendet und an die eilfertigen und doch so sorgenreichen Fragen des Weibs von Sichem, an die Zweifelsfragen der Jünger und die unruhigen des reichen Jünglings, an die Weisheit des Nikodemus, wie an die suchende Sündenerkenntnis des Zachäus. Die Art der Predigt ist schmucklos und unansehnlich, verschmäht die hohen Worte, gibt aber den einfachsten ihr ganzes Recht und „füllt die Wasserkrüge mit Wasser, das zum Weine wird“. Das Bild gebraucht Jesus gerne, bald das mehr andeutende, bald das ausgeführte, dessen Einzelzüge nicht schmückendes Beiwerk oder nebensächlicher Zier, sondern wohlerwogene und nach Kräften zu enträtselnde Wirklichkeiten sind. Es steht ihm nicht an, vom Ziele durch Ausschilderungen abzulenken und durch Begleitumstände den wichtigsten hervorzuheben, so steht es uns nicht an, irgendein Wort aus seinen Gleichnissen hintanzustellen oder zu übergehen. Quot verba, tot sententiae. Jeden Orts aber wendet sich die Rede an den Willen, daß ein Entschluß, würdig dessen erstehe, dessen ganzes Leben Wille war. Nicht daß man eine kleine Weile sich am Lichte erfreue, verlangt er (Joh. 5, 35), sondern daß man um ewige Speise sich mühe, die alles Opfers wert, aber auch jedem rechten Dienste bereitet ist. Er klingt alle Töne des Menschenherzens an, das tiefste Leid und die reinste Freude, den Schmerz der Verwaistheit (Joh. 16, 33, Joh. 14, 28) und die Freude der Mutter über das Glück,