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 Ach, das größte Geschenk, das Gott einem Menschen auf der Welt geben kann ist nicht die Gnade, sondern die Selbsterkenntnis. Die Gnade kann den Menschen verderben, die Selbsterkenntnis kann das nie. Die Gnade kann den Menschen in den Abgrund werfen, wenn er sie zu ungut empfängt, aber die Selbsterkenntnis heilt. Die größte Wohltat, die Gott einem Menschen auf der armen, täuschungsreichen, irrtumsschweren, irrtumsschwülen Welt widerfahren läßt, ist, daß Er ihn sich selbst gegenüberstellt: das ist dein Bild! Und wenn ich meine Augen wegwende, weil dieses Bild mit Schlangen und Würmern überdeckt ist, weil es so verwesend und so zerfetzt und so vermodert aussieht – und keine Mode der Welt kann diese meine Blöße bedecken – dann hat der heilige Geist sein treues Werk an mir getan. Ich kann Ihn niemals beschuldigen, daß Er mir nie gesagt habe, wo und wie es bei mir fehlt. Er hat mich mit Seinen Gaben erleuchtet. Merkst du das? Wenn du vielleicht stundenlang über ein einziges unbedachtes Wort trauerst, lange Zeit über eine ungute Rede nicht hinwegkommst, wenn ein alter, vergilbter, halbzerrissener Brief dir schon beim Anblick immer wieder Vorwürfe macht – da wirkt der heilige Geist, Er erleuchtet dich mit Seinen Gaben und die sind unscheinbar, aber echt; sie heißen: Seine Liebe, Seine Wahrheit, Seine Treue, Sein Ernst. Und sie sind wunderbar gnädig; denn „das ist die größte Plage, wenn am Tage man das Licht nicht sehen kann!“ Es gibt ja Menschen, die so an sich selbst berauscht und von sich selbst geblendet sind, daß sie gar nicht mehr sich selbst erkennen können. Sie haben sich ein Bild gemacht, das haben sie mit Goldfarbe überstrahlt und dieses Bild haben sie in Liebe bewahrt und es wurde, daß ich ganz praktisch rede, die Platte zur Nachbildung und Nachbestellung gut aufgehoben. Es ist immer wieder dasselbe, vielleicht nur immer idealer. Und der heilige Geist reißt diese Hülle und diesen Schleier und all