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kommt folgende vor: „Während man im 16. und 17. Jahrhundert wenigstens noch Geld zahlte, um Sündenvergebung zu erlangen – er dachte wohl an den Ablaßhandel Tetzels – tut man im 19. Jahrhundert gar nichts mehr. Jeder bedient sich selbst mit der Sündenvergebung.“ Er hatte recht, und jetzt ist es nicht anders. Ich glaube, daß auch unter uns manche sind, die wohl gar nicht wissen, was sie mit dem Artikel: Sündenvergebung anfangen sollen. Sündenvergebung? Was ist Sünde? Sünde ist Schwachheit, Sünde ist Unreife, Sünde ist Unklarheit, Mißverständnis; Sünde, sagen viele, ist die Kinderkrankheit, die, wenn gewisse Jahre vorüber sind, sich von selbst verliert. Solange man ein Kind ist, hat man allerlei Einfälle, Launen, Liebhabereien, wenn man aber zu Jahren und zu Verstand kommt, hören diese Begierden von selbst auf. Es ist merkwürdig, daß ich nie das Glück gehabt habe, Persönlichkeiten kennen zu lernen, bei denen die Sünde von selbst aufgehört hätte, und daß ich auch im eigenen Herzen das noch nie empfand. Es ist merkwürdig, daß, je älter der Mensch wird, die Sünden vielleicht kälter, leidenschaftsloser werden, aber um so gefährlicher. Du bist jetzt vielleicht 70 Jahre, die Schärfe deines Urteils hatte in deinen jüngeren Jahren etwas Liebenswürdiges. Sie war mit einer gutmütigen Satire verbunden, auch mit frisch-fröhlichen Einfällen. Diese frohen Gedanken sind nun weggeblieben, und das launige, scherzhafte Wesen ist verschwunden, aber die Schärfe des Urteils ist geblieben. Als du jung warst, hieltest du große Stücke von dir, man begriff das, wenn man es auch nicht entschuldigte, du warst vielleicht gewandt, geschickt, liebenswürdig; nun bist du älter geworden, die Gewandtheit ist entschwunden und die Liebenswürdigkeit ist nicht größer geworden, aber die Eitelkeit ist geblieben, nur ist sie etwas jämmerlicher geworden. Als du jung warst, konntest du mit dem Gelde nicht umgehen, du warfst es mit vollen Händen hinaus; das war ein