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hineinblicken und nicht trunken an uns und auf uns das Auge heften, desto mehr werden wir unsere Fehler gewahren. Wenn du also eine Kirche ohne Flecken willst, eine Kirche, die keine Schatten und Schäden hat, eine Kirche von lauter Heiligen, so suche sie droben, wo man nicht mehr sündigen kann, in der Gemeinde der Vollendeten. Hier auf Erden aber ist es ein Fallen und Aufstehen, ein Ausgleiten und Sichanhalten, ein Wollen und Nichtvollbringen, ein Vollbringen des, was man nicht soll, ein Widerstreit zwischen Wollen, Können und Sollen; hier auf Erden ist die Kirche keine vollkommene. Wohl ihr, wenn sie nach Vollendung strebt!

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 Ich glaube eine heilige Kirche. Wo unter uns ein Christ jeden Abend seine Lieblingssünden ins Auge faßt und mit harter Hand diese Lieblingssünden – ob’s gleich mitten ins Fleisch schneidet – bekämpft, da ist heilige Kirche. Wo zwei Menschen, die einander tragen und miteinander tragen, einander gestehen, daß sie einander tragen wollen, da ist heilige Kirche. Wo zwei Menschen einander auf dem schmalen Wege helfen, daß eine Seele zur andern sagt: Komm, hier sind Dornen, wir wollen sie tragen; hier ist das Kreuz, wir wollen ihm nicht entfliehen; hier ist der Weg schmal und die Pforte eng, wir wollen beide beschreiten! Da ist heilige Kirche. Die heilige Kirche ist, wie eben der Herr Jesus Selbst, unscheinbar. Eine Kirche mit leuchtender Heiligkeit kennen wir nicht; eine Kirche, in der besondere heroische Taten geschehen, besonders bedeutende, wunderbare Werke, große, hervorragende Leistungen, eine solche Kirche ist uns unbekannt. Überhaupt, die Heiligkeit im evangelischen Sinne ist das Allerärmlichste, was man sich denken kann. Eine andere Kirche prunkt mit ihrer Heiligkeit, ihrem Übermenschlichen und Heroischen. Sie unterscheidet zwischen der Sittlichkeit der gewöhnlichen Leute und der Sittlichkeit der Herren. Die Mönche, die Nonnen, die Religiösen haben eine weit, weit höhere Sittlichkeit, als die arme