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dem heiligen Gott. Und wenn du an einem Abend sagst: Wieder ein Tag verloren! dann ist er gewonnen.

 Ich glaube eine heilige Kirche, eine Gemeinde derer, die einander heiligen, die einander ein ernstes Gewissen sind. Bist du das deinem Nächsten? Nicht in hämischer Weise, weil du seine Fehler kennst und die deinen nicht, sondern in aufrichtiger Weise: „Halt, mein Bruder, nachdem ich den Balken aus meinem Auge gezogen habe, möge es mir gelingen, den Splitter aus dem deinen zu entfernen!“ (Matth. 7,5.) Hast du je einem Menschen in seiner Heiligungsarbeit geholfen oder hast du sie ihm erschwert? Wenn man, um es praktisch zu erläutern, viel in eheliche Verhältnisse einblicken muß, so hat man den Eindruck öfters: Die beiden Leute würden sich besser verstanden haben und verstehen, wenn sie den Mut gehabt hätten, einander ihre Schwächen einzugestehen und zu bekennen. Sie wären weiter gekommen, wenn sie sich nicht voreinander geweigert hätten, Sünder zu sein. Weil aber der eine Teil sich in den Tugendmantel hüllte, meinte es der andere auch tun zu müssen. So wurde ihr Verhältnis zueinander immer frostiger, kälter, toter und schließlich ward aus dem Füreinander und Miteinander ein armseliges Nebeneinander. Man ist wohl älter geworden, aber nicht frömmer. Hast du für einen Menschen wirklich schon etwas in seiner Heiligungsarbeit bedeutet? Die meisten Menschen meinen, sie kämen nicht dazu; denn sie hätten so viel mit ihrer eigenen Heiligung zu tun, daß sie nicht auch noch dem Nächsten helfen könnten. Als ob ich nicht dem Nächsten dann am meisten hülfe, wenn ich mich selbst heilige. Je ernster ich mit mir ins Gericht gehe, desto mehr kann ich meinem Bruder helfen; je schärfer ich mich beurteile, desto mehr kann ich meinen Bruder schonen; je mehr ich in mir das Grauen der Sünde erkenne, desto treuer kann ich meinen Bruder davor bewahren: „Ach, mein Irrweg hat mich belehrt, mich berechtigt, dich zu bitten: halt ein!“