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 Und nicht bloß das Menschenleben, ob es mit Purpur oder mit Lumpen bedeckt ist, ob die Wiege aus Gold gefügt oder aus rohen Brettern gezimmert ist, geht so jählings zu Ende, so unvermittelt und unvermutet, sondern auch alle menschlichen Gedanken. Was vom Fleisch geboren ist – die Herrlichkeit der antiken Kunst – jetzt ist sie von Staub bedeckt, die Vergänglichkeit zieht durch die Hallen und auf den Steinen wächst das Moos. Die Geistesgedanken der alten Denker und Dichter, wer kennt sie noch? Die wenigen, die sie kennen und lesen und schätzen, gehen dann auch ihres Weges.

 Als ich vor Jahren an einem Sonntag früh vor dem Gottesdienst durch das Wohn- und Sterbehaus Goethes in Weimar schritt, ich, der einzige, da ist mir diese Predigt so erschütternd entgegengetreten. Hier sind noch all die Bücher, die der Meister brauchte, all die Schriften, die er schrieb, noch ist die Tinte kaum vertrocknet und die Feder nur weggelegt, und an seinem Hause brandet und geht der Verkehr vorüber; denn der Herr ist fortgezogen, der Besitzer liegt in der Erde.

 Es ist so furchtbar schwer, daß man sich eigentlich für nichts müht. „Das Auge sieht sich nimmer satt und das Ohr hört sich nimmer satt“ (Pr. 1, 8), und das Herz schlägt sich nimmer satt, und dann kommt einmal der Tod geschritten, so unvermittelt, so teilnahmslos, ob Ströme von Tränen ihm antworten und das Wehgeschrei die Hallen erfüllt und die Saiten zerreißt und die Kräfte zerbricht. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch. Das hat der Herr gesagt, Der an dem Sterbelager des Mägdleins tröstete und am Sarg des Jünglings die Mutter mit seiner Güte erquickte und am Grab des Lazarus weinte. Wenn es ein Naturverhängnis wäre, das da kommen müßte, so wären Seine Tränen eitel Schein, Mitleid vielleicht, aber Schwachheit zugleich. Gott sei Dank, daß unser Heiland weiterfährt: „Was vom Geist geboren wird, das ist Geist“ (Joh. 3, 6); denn das Fleisch und sein