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nicht mehr Sterne sehen, die leuchten, sondern nur Wellen, die drohen; nicht mehr Freundlichkeiten, die stärken, nur Stürme, die schrecken; in der ganzen Lebensführung immer einsamer werden, um zuletzt ganz allein zu stehen, das heißt man: „das Kreuz tragen“. Und die Gemeinde Jesu Christi steht dabei und spricht: „Wahrlich, er hat gelitten draußen vor dem Tore!“ (Hebr. 13, 12.) Es haben andere auch gelitten. Es kennt die Antike großes, ernstes Leiden, es kennt die Geschichte der Menschheit wundersames Martyrium. Aber über dem Leiden der Antike und dem Martyrium der Menschheit liegt der Glanz der Eigenwahl und der Selbstopferung eigenen Entscheides. Auf Jesu Kreuz aber steht geschrieben: „Gehorsam! Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Und der Gehorsam, der den fremden Willen ganz zu dem eigenen macht, der das, was am schwersten ist, am ernstlichsten erfaßt, ist der Gehorsam dessen, der das Kreuz trägt. Daß ich es dir recht klar zu machen versuche: wie schwer trägst du vielleicht an einem einzigen Menschen. Wie bittest du den Herrn, daß er die Plage von dir nehme. Gib mir ein schwereres Kreuz, eine größere Aufgabe, aber laß nur nicht meine Kraft an diesen Kleinlichkeiten zerbröckeln und zermürben. Ich will alles für dich leisten; ich will die schwersten Aufgaben alle zu lösen suchen. Nur diese alltägliche, ganz ungeformte, sich mir alle Tage aufs neue erbietende Aufgabe nimm von mir! Und der Herr nimmt sie nicht. Paulus hat dreimal gebeten, daß Gott die Plage von ihm nehme und der Herr hat sie ihm tiefer eingegraben und näher gebracht. Seht, da erkennen wir ein wenig, soweit eben Menschen Jesum erkennen können, was es heißt: er trug das Kreuz, bis er es litt.


II.

 Im Tragen des Kreuzes liegt noch persönliches Tun, im Leiden des Kreuzes liegt die Größe heiliger Gelassenheit, die alles mit