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 Joh. 1, 14
 Wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren.






 So fahren wir heute weiter und sprechen: von der Notwendigkeit, von der Möglichkeit und von der Wirklichkeit der Menschwerdung.


I.

 Von der Notwendigkeit der Menschwerdung zuerst. Daher mußte er allerdinge seinen Brüdern gleich werden, auf daß er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünden des Volkes. (Hebr. 2, 17.)

 Gott hat um die Sünde gewußt. Nicht, daß er sie gewollt hätte, aber er hat sie gekannt. Er hat gesehen, welche Verheerungen sie unter den Menschen anrichtet, und wie sie das Reich seines größten Feindes, des gefallenen Engelfürsten, baut. Er hat wahrgenommen, wie die Sünde aus kleinen Anfängen zu unübersehbarer Höhe heranwächst, und wie diese Höhe groß genug ist, den Himmel zu versperren und das Angesicht der Gnade zu verbergen. Gott hat auch gesehen, wie der Mensch unter der Sünde leidet und hat die tausendfachen Wehschreie und Schmerzensäußerungen, den ganzen Jammer der Menschheit und die ganze Menschheit des Leidens auf sich wirken lassen. Er hat seit Anbeginn der Welt vernommen, unter welcher Last die Menschheit schmachtet. Aber so gewiß er wußte, was Sünde ist, erfahren hat er sie nicht. Er konnte sich – daß ich menschlich rede – in die Reize der Sünde und in die Versuchungen des Menschen und in die Schwachheit der Menschennatur, wie die Sünde sie heraufführte und vermehrte, nicht hineindenken. Wenn er gleich alle Dinge weiß, so hat er doch,