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 Seht, ich kann mir kein Liebesverhältnis auf Erden denken – Freundschaft, Ehe, sonst eine Bezogenheit welcher Art –, das nicht immer wieder Enttäuschungen erlebt, erleben muß, um auf seine Wahrheit erprobt zu werden. Jede Ehe hat Momente, in denen eines an dem anderen irre wird. Diese Momente hat Gott verordnet, damit eines das Andere trage und eines für das Andere bete. Jede Freundschaft hat Scheidewege, an denen man zueinander sagt: „Willst du zur Rechten, so gehe ich zur Linken, oder willst du zur Linken, so gehe ich zur Rechten, nur laß uns auseinandergehen!“ (1. Mos. 13, 9.)

 Das wird alles auch einmal aufhören. Ich werde in ewiger Unschuld nichts anderes mehr atmen als Liebe. Aber nicht die schwächliche Liebe, welche den Namen Liebe gar nicht verdient, weil sie Leidenschaft ist; nicht die ärmliche Liebe, welche die Augen gegen die Fehler des Nächsten schließt, um nicht enttäuscht zu werden und aufhören zu müssen. Sondern jene Liebe, die dem Nächsten auf den Grund sieht und in ihm nichts erkennt als Jesu Bild.

 Das ist nicht ein holder Traum, sondern manchmal gibt Gott, vielleicht nach einem Abendmahlsgenuß, vielleicht in der Abschiedsstunde von Sterbelagern, in sonstigen einschneidenden Vorgängen im Menschenleben, solche Minuten, wo auf einmal jeder Mensch uns wert ist und wir bitten, jedem Menschen etwas sein zu dürfen.

 Das sind aber nur „leuchtende Zwischenräume“. Dann kommen immer wieder die öden Tage, wo man nur einen Menschen trägt und nur einen Menschen liebt, und der eine Mensch ist das eigene Ich.

 Doch es kommt eine Zeit, da ich unschuldig bin, da ich mich nicht mehr auf den Abend fürchten muß, an dem der Herr sagt: „tue Rechenschaft von deinem Haushalte!“ (Luk. 16, 2), sondern da ich den Abend herbeisehne, weil er nichts anderes ist, als ein