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Am dritten Tage fand ich den Anschlußzug von Mainz nach Karlsruhe. Von Karlsruhe weiter nach Pforzheim, das bekümmerte mich vorläufig nicht, wenn ich nur schon mal in Karlsruhe war. Wie ein Besessener sprang ich auf, kletterte vor Übermut und Freude auf den Kleiderschrank, stellte mir eine brennende Kerze auf den Kopf und sang patriotische Lieder, bis ich völlig außer Atem war.

7,20 am nächsten Morgen würde ich fahren. 7,20, eine traute Zahl. Das war meine Zahl, ich war ganz stolz; 7,20, wie das klang, welche Phonetik.

Den ganzen Tag über war ich in einer fieberhaften Tätigkeit. Ich kaufte mir schon ein Billett bis Karlsruhe, um am anderen Morgen freie Hand zu haben, stampfte meinen Kram in den großen Koffer und eine herzige Handtasche, sang Reiselieder, gebärdete mich überhaupt, wie ein junges Füllen.

Punkt sechs Uhr am anderen Morgen ließ ich mich wecken.

Fünf Minuten nach sieben war ich am Bahnhof.

Meinen großen Koffer gab ich bis Karlsruhe auf. Die gelbe Leinenhaut meines Rohrplattenkoffers schauderte, als ein herkulischer, bärtiger, wildfremder Mann mit übelriechendem Leim eine Nummer aufklebte. Ich mußte an einem kleinen Fensterchen drei Mark achtzig bezahlen und bekam dafür ein dünnes Papier; dieses so wichtige Dokument nicht zu verlieren, war jetzt meine einzige Sorge.

Ich hatte noch eine dick angeschwollene Handtasche zu tragen, einen Regenkragen, einen Paletot, einen Schirm und einen Stock, mit einer Kordel zusammengebunden; der Stock rutschte immer heraus oder stellte sich quer. Dann hatte ich noch bei mir eine photographische

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Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/197&oldid=- (Version vom 1.8.2018)