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hat, angesteckt und eine Nummer des „Corriere della Sera“ in die Hand genommen! Nun sollte noch jemand, der mich in den Kolonaden am Dom herumschlendern sah, in mir einen Nordländer vermuten!

Die Kunst des Flanierens, nach Baudelaire die subtilste Sensation des Dandy, die der Italiener, wie überhaupt jeder Romane meisterhaft versteht, werden wir nie lernen. Wir haben nie Zeit. Der Beruf, die Pflicht und was derartige unsympathische Worte noch mehr sind, lassen keine halkyonische Beschaulichkeit aufkommen. Und wenn es dann nicht diese Faktoren sind, die unsere Zeit in Anspruch nehmen, so haben wir Kegeln, oder Skatabend, oder eine offizielle Gesellschaft, oder sonst irgend etwas, das wir für äußerst wichtig halten. Immer lese ich aus den Gesichtern der Leute bei uns, die Unruhe, sie müßten unbedingt gleich irgendwo sein, wo es ohne sie absolut nicht geht, wo sogar, wenn sie nicht rechtzeitig eintreffen, ein Malheur passiert.

Die Kunst zu leben, zu leben um des Lebens willen, kann man in Italien lernen.

Gearbeitet wird dort auch, wenn es eben nicht anders geht, aber nicht mit dem harten Ernst, nicht mit der monumentalen Wichtigkeit, die zum Beispiel bei uns ein Bureaumensch, der eine Rechnung über zwanzig Stück verzinkte Blecheimer oder über zweiunddreißig Meter Gasröhren mit Gewinde und Muffen auszuschreiben hat, seiner Tätigkeit entgegenbringt.

Seine Geschäfte macht der italienische Kaufmann so nebenbei im Café oder auf der Promenade. Wir hielten es für unwürdig, derartig wichtige und feierliche Dinge irgendwo anders, als in dem weihevollen

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Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/152&oldid=- (Version vom 1.8.2018)