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Haus, wo ein ganzes Rudel alter Damen mich wie einen lieben, lang erwarteten Besuch mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit empfing. Ich war einfach platt. Man nahm mir meinen Schirm und das Jackett ab, frug, ob ich keine nassen oder kalten Füße habe. Man brachte mir zu essen, kalten Kalbsbraten und Eier. Man saß um mich herum und bestaunte mich wie ein Wundertier. Dann wurde man auch neugierig und wollte wissen, wer ich wäre. Ich habe nur gemurmelt, es wäre so traurig, und angefangen zu schluchzen. Von Tränen erstickt, habe ich einige Male „armes Mütterlein“ gesagt. Dann sagte die Dame, die mich mitgebracht hatte, man solle mich in Ruhe lassen, ich wäre noch durch die Ereignisse des Abends zu erregt, man wolle jetzt die Abendandacht abhalten und mich dann zur Ruhe bringen. Die Geschichte begann mit einem Choral. Die Damen frugen mich nach meinem Lieblingschoral. Ich wußte bei Gott nicht, was ich sagen sollte. Alle die Lieder, die ich kenne, sind eigentlich keine Kirchenlieder, und als ich das einzige einigermaßen fromme Lied, welches mir einfiel, „Gott erhalte Franz den Kaiser“, nannte, sagten sie, das wäre kein Choral oder stände wenigstens nicht in ihrem Gesangbuch. Ich sagte leise, bei mir hätte es drin gestanden. Dann haben sie endlich ein anderes frommes Lied gesungen, von dem sie behaupteten, daß ich es sicher kennen würde. Ich habe ja gesagt, und weil die anderen so furchtbar brüllten, haben sie nicht gemerkt, daß ich nur so mitgebrummt und nur den Mund auf und zu gemacht habe. Ich war heidenmäßig froh, als beschlossen wurde, mich nunmehr zu Bett zu bringen. Die ganze Gesellschaft gab mir das Geleite. Ich bekam auch eine Wärmflasche. Meine schönen

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Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/122&oldid=- (Version vom 1.8.2018)