Offiziell kam ich nur Sonntags nach Hause, pflegte jedoch mit Rücksicht auf meine Lokalkenntnis auch meine „Kleinen-Mädchen-Betriebe“ in meiner Vaterstadt vor sich gehen zu lassen.
So hatte ich also mit meiner Änne nach umständlichem Briefwechsel wieder mal in D. ein Rendezvous vereinbart. Da Änne noch im ersten Akte mitzuwirken hatte, und ich in den meisten Fällen, namentlich wenn ich was vorhatte, bis in die Abendstunden durch einen allzu eifrigen Amtsrichter festgehalten wurde, so wollten wir uns erst um 10 Uhr abends auf dem Bahnhof in D. treffen. Änne kam einige Minuten vor mir von K. an und sollte mich an meinem Zuge, der punkt 10 Uhr einlief, erwarten.
Ich hatte mich wahnsinnig auf den Abend gefreut und langer Hand ein kalifornisches Freudenfest mit einigen trefflichen Gespielen und deren Gespielinnen bereitet.
Der bewußte Tag kam heran.
Natürlich dauerte die Gerichtssitzung, in der ich als Protokollführer fungierte, bis nach sieben. Es blieben mir immerhin noch anderthalb Stunden bis zur Abfahrt des Zuges, Zeit genug, um mich umzuziehen und mich noch in köstlicher Weise zu verschönern.
Ich stürmte in Eilmärschen meiner Wohnung zu. –
Ich weiß nicht, was das Schicksal gegen mich hat. Ich brauche nur den Entschluß zu fassen, irgend etwas zu unternehmen, schon stellt sich eine Kette von fortgesetzten Widrigkeiten ein, die die Ausführung in den meisten Fällen unmöglich macht oder doch bedeutend erschwert.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/118&oldid=- (Version vom 1.8.2018)