Buchstabens losgelassen und nahm an, daß nun mittlerweile auch eine Antwort der Gräfin meiner harrte.
Ich war im Grunde doch ein ekelhaft biederer Mensch, und die Schalen abgestandener, philisterhafter Moralbegriffe hingen mir noch an. Eine starke Anwandlung eines Moralischen befiel mich plötzlich auf dem Wege zur Post, gepaart mit einer unheimlichen Unruhe, mein loses Tun würde herauskommen. Nur einer meiner Bekannten brauchte mich auf der Post zu beobachten! Postlagernd zu korrespondieren, hatte immer einen verdächtigen Beigeschmack! Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich es tat.
Je mehr ich über alle Möglichkeiten nachdachte, die mir aus meinem Leichtsinn erwachsen konnten, um so nervöser und verhetzter wurde ich.
Zitternd und bebend wie ein Verbrecherdilettant drückte ich mich in die Post. Jetzt nur schnell, schnell, damit ich wieder fortkam Ich drängte mich kopflos in eine dichte Ansammlung von Menschen, die ein Schalterfenster umlagerten. Viele dieser Leute hatten lange, schmale Bücher in der Hand, in welchen Packen rosafarbener Karten steckten. Sie warteten ergeben, und ihre Mienen waren ohne Hast.
Anders wurde es, als ich mich in blindem Drängen in die Menge schob. Das verdroß die Leute, und ein unwilliges Murren erhob sich. Ein Mann mit einem Athletenvereinszeichen am Rock trat mich auf die Füße, schlug mir mit der Faust meinen steifen Hut unendlich tief in den Kopf, obgleich der Hut wirklich ganz gut saß, und versprach, mir auch noch in den Bauch zu treten. Da ich das nicht so sehr gerne mochte, ließ ich mich von feindselig harten Ellenbogen zurückschubsen. Da stand ich nun verdöst von dem erhaltenen
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Ernst Rowohlt Verlag, Leipzig 1911, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)