„Bssssst, bssssst, bsssst,“ klang es von allen Seiten.
Jetzt versuchte sie, gewaltsam gegen die feindlichen Knie ankämpfend, in eine andere Reihe einzudringen. Hier fand sie endlich einen freien Sitz, auf dem sie sich ächzend und Adalbert verfluchend niederfallen ließ.
Wo hatte sie nur die Garderobemarke hingesteckt? Das fiel ihr auf einmal ein. Ein nervöses Durchstöbern der Taschen und des Pompadours begann. Man schaute sie wütend an. Gott, wo war nur die Nummer! Endlich fiel ihr ein, daß sie Adalbert haben mußte. Ihre Ruhe und Andacht war durch diese Sorge erheblich gestört.
Was auf der Bühne, die ziemlich dunkel war, vor sich ging, war ihr völlig unverständlich. Mehrere alte Frauen sprachen monoton durcheinander, dazwischen wurde hinter der Bühne gräßlich geschrien.
„Warum sitzen wir denn nun hier?“
„Fragen sie ihn. Wissen wir es denn?“
„Er wird es nicht sagen.“
„Er wird’s nicht sagen. Er spricht überhaupt nicht,“ – so unterhielten sich die alten Frauen, die selbst über sich völlig im unklaren zu sein schienen. Na, dann konnte es ihr ja auch egal sein, warum das alles war, dachte sich die Tante. Die Verwandten schienen doch recht gehabt zu haben, als sie ihr von dem Besuch des Theaters abrieten. Denn in dem dunklen Theater zu sitzen und diese unklaren Auseinandersetzungen anzuhören, war wenig amüsant.
Sie döste eine Weile vor sich hin, als sie plötzlich aufgestört wurde. Ein Herr schob sich bis zu ihr durch und machte sie höhnisch darauf aufmerksam, daß sie auf seinem Platz sitze und daß sie diesen Platz zu seinem Bedauern verlassen müsse.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Leipzig: Ernst Rowohlt Verlag, 1911, Seite 57. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/057&oldid=- (Version vom 1.8.2018)