indiskret herausbaumelten, hineinstopfen, dann blieb die Frisur an ihrem herzlieben Kapotthut hängen, was auch seine Hilfe erforderte. Sehr viele Mal mußte er den Pompadour, der ihr immer entglitt, sich natürlich öffnete und seinen vielseitigen Inhalt verstreute, aufheben.
Es war eine gräßliche Situation.
Er wagte gar nicht aufzuschauen, um nicht den spöttischen, vernichtenden Blicken der Leute zu begegnen. Aus war es mit ihm, aus mit seiner gesellschaftlichen Position.
Dabei hatte Tante Schlüngel die liebe Angewohnheit, fortgesetzt laut und umständlich zu fragen.
Es hatte zum letztenmal geklingelt und die Vorstellung bereits begonnen, als die Tante mit ihrer Toilette fertig war. Mit einem kühnen Schubs hatte Adalbert seine liebe Verwandte aus Dülken aus dem hellerleuchteten Gang in den verdunkelten Zuschauerraum gestoßen und sich selbst schleunigst auf seinen Platz im zweiten Rang in Sicherheit gebracht. Das war ohne zweifel gemein von ihm, aber begreiflich.
Gottmeih Schlüngel drängte sich völlig verwirrt in die erste beste Reihe, zwang die Leute aufzustehen, um dann, in der Mitte angekommen, zu konstatieren, daß in dieser Reihe kein Sitz mehr frei war. Sie schlurfte zurück, streifte die Programms, Operngläser von den Schößen der Leute, was allgemeine Mißbilligung von seiten der Betroffenen fand. Zum Überfluß entfiel ihr auch der Pompadour wieder, und sein neckischer Inhalt verstreute sich auf dem Boden. Auch das erregte ziemlichen Verdruß. Hartnäckig suchte sie trotz allgemeinen Protestes ihren Kram zusammen. Man murrte allgemein.
Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Leipzig: Ernst Rowohlt Verlag, 1911, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/056&oldid=- (Version vom 1.8.2018)