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aus dem ich das schrille Organ meiner Wirtin heraushörte, die gegen eine Männerstimme anredet. Die streitenden Parteien schoben sich näher und machten vor meiner Türe halt.

Ich richtete mich wütend auf und hörte, wie meine Wirtin fortgesetzt beteuerte, ich wäre verreist und würde in den ersten Wochen kaum wiederkommen; man könnte im übrigen gegenwärtig überhaupt nicht in das Zimmer, es sei frisch gestrichen. Dann kamen Argumente, die lediglich aus Schimpfworten bestanden.

Die Beharrlichkeit des Fremden draußen, zu mir zu gelangen, machte mir ernstlich Sorge. Ich suchte mir darüber klar zu werden, wo ich die Stimme schon gehört hatte. Ich konnte mich nicht besinnen. Ohne Zweifel irgendein feindseliger, gieriger Manichäer[1]. Ich baute auf das Maulwerk meiner Wirtin.

Verzweifeltes, ohnmächtiges Schluffen und Stampfen; ein Drängen und Stoßen an der Tür. Eine energische Hand legte sich auf die Klinke, und rüttelnd heischte eine gebieterische Stimme, die ich jetzt als die Theobald Seheims erkannte, Einlaß.

Ich kroch unter die Decke. „Ich weiß, daß du da bist,“ tönte es vor der Tür. Zögernd begann Theobald mit seinen amerikanisch Doppeltbesohlten den Anfang von Salomes Schleiertanz an meiner Tür zu produzieren. Mein armer Kopf. Die verdammten dreihundertzwanzig Mark.

Ich faßte einen Entschluß. Ich schleppte mich zur Tür und winselte durch das Schlüsselloch, ich sei totkrank, es müsse die Lepra sein oder die Pest. Es wäre unbedingt ansteckend; ich würde unter keinen Umständen öffnen; er habe aber als verheirateter


  1. Manichäer, Sekte, s. Manichäismus. – In der Studentensprache Bezeichnung für Gläubiger (wahrscheinlich in Anspielung auf »mahnen«). [Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905)]
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Hermann Harry Schmitz: Der Säugling und andere Tragikomödien. Leipzig: Ernst Rowohlt Verlag, 1911, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz_Der_Saeugling.djvu/022&oldid=- (Version vom 18.8.2016)