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Er hatte nicht bemerkt, daß sich jemand am anderen Ende der Bank niedergelassen hatte.

Plötzlich wurde er aufgeschreckt. Ein alter Herr mit weißem Bart und Schlapphut stand vor ihm: „Verzeihen Sie, daß ich Sie störe.“

„Bitte, bitte,“ faßte sich schnell Leobschietz.

„Sie werden meinen Namen kennen, ich bin der berühmte Kunstmaler Professor Brauntupf.“ Der alte Herr schob die linke Hand in den Gehrockaufschlag, reckte sich, daß er zwei Köpfe höher erschien, und drehte den Kopf nach links: so stand er da, der große Mann, wie ein Denkmal. Er sagte noch einmal, daß Leobschietz heiliges Schauern überlief: „Ich bin der berühmteste Maler Brauntupf – Brauntupf!“ Er guckte stolz um sich.

Leobschietz verneigte sich devot.

Dann nahm Brauntupf die Hand aus dem Gehrockaufschlag, zog die Heldenbrust ein und sagte zu Leobschietz: „Stellen Sie sich mal ins Profil.“ Er hielt die halb geöffnete Faust vor das Auge wie ein Fernrohr und brüllte enthusiasmiert: „Herrlich! Herrlich! Sie sind mein Mann!“

Leobschietz wurde noch gelber.

„Ich werde Ihnen erklären, warum Sie mein Mann, ein Geschenk meiner Muse sind!“ begann der berühmte Mann pathetisch. „Sehen Sie, ich trage ein Werk in mir seit Jahren: Die Begegnung Dantes mit Beatrice. Ich war in Italien und habe gesucht nach einem Kopf, der mir zu meinem Dante dienen könnte. Hunderte von Modellen habe ich geprüft. Hoffnungslos bin ich zurückgekehrt.

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Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/112&oldid=- (Version vom 1.8.2018)