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Er hatte einmal in einem Buche „Wie werde ich gebildet?“ etwas von Atavismus gelesen. So schien ihm auch seine Gelbsucht auf atavistischer Grundlage erstanden zu sein. Sein Onkel Milbenflutsch war nämlich Bahnhofsvorsteher auf der Insel Ju-tschu im Gelben Meer gewesen.

Zwar belehrte ihn der Geheimrat Boorsalbe: „Gelbsucht ist, wenn die Galle in das Blut tritt.“

„Ohne anzuklopfen?“ witzelte der fade Rübölerich.

Geheimrat Boorsalbe wies dann noch darauf hin, daß sich das bei dieser Krankheit entstehende Gelb in den Tränensäcken der Augen sammle.

Eines Abends im Juni war Leobschietz gelb wie nie. Falten durchfurchten sein Gesicht, wo eben Platz war.

Er war sehr niedergeschlagen, die unartigen Kinder hatten ihm wieder „Postkutsche!“ nachgerufen und Vorbeigehende dumme Bemerkungen gemacht.

Eine stille Wut stieg in ihm auf, was ihn noch gelber machte; eine Verzweiflung kam über ihn. Selbstmordideen quälten ihn. „Bin ich ein gelber Firlefanz?“ stöhnte er. „Gerade ich.“ Er brach auf einer Bank zusammen, stierte verzweifelt auf die Fußspitzen. Das war ein Leben! Ein Gespött der Leute! Gelbe Tränen flossen ihm durch die Wangenfurchen. Dann lehnte er sich zurück, schlug sich mit der Faust vor den Kopf und setzte sich ganz gerade auf die Bank. Sein Profil stand wie eine scharf geschnittene Silhouette gegen den Abendhimmel. Sein Kinn sprang vor wie ein Fensterbalkon, die Nase ähnelte einem spitzig gebogenen Geierschnabel.

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Hermann Harry Schmitz: Buch der Katastrophen. Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1916, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_Harry_Schmitz-Buch_der_Katastrophen-1916.djvu/111&oldid=- (Version vom 1.8.2018)